Die Akte ODESSA: Thriller (German Edition)
der Herren namentlich bekannt ist, soll mir jeder recht sein«, sagte Miller. »Hier ist meine Karte.« Er steckte seinen Presseausweis durch die Öffnung und zwang den Mann auf diese Weise förmlich, ihn entgegenzunehmen. So war er wenigstens sicher, daß der Ausweis auch ins Haus kam und begutachtet wurde. Der Pförtner schloß die Klappe und ging fort. Als er zurückkam, öffnete er das Tor und brachte Miller über die Auffahrt und fünf Stufen zum Haupteingang. Überhitzte Zentralheizungsluft schlug Miller entgegen, als er aus der winterlichen Kälte in die Halle trat. Ein zweiter Pförtner kam aus einer verglasten Portiersloge rechts neben dem Eingang und führte ihn in einen kleinen Warteraum.
»Es wird gleich jemand kommen, der sich um Sie kümmert«, sagte er und schloß die Tür.
Der Mann, der drei Minuten später erschien, war Anfang Fünfzig, korrekt und von verbindlicher Höflichkeit. Er gab Miller den Presseausweis zurück und fragte ihn: »Was kann ich für Sie tun?«
Miller berichtete rasch von Taubers Selbstmord, dem hinterlassenen Tagebuch und seinen Nachforschungen nach dem Verbleib von Eduard Roschmann. Der Jurist hörte ihm aufmerksam zu.
»Hochinteressant«, sagte er, als Miller fertig war.
»Was ich von Ihnen wissen möchte: Können Sie mir behilflich sein?«
»Ich wünschte, ich könnte es«, sagte der Mann, und zum erstenmal, seit er vor Wochen in Hamburg mit seinen Nachforschungen angefangen hatte, hatte Miller das Gefühl, es mit einem Beamten zu tun zu haben, der ihm wirklich gern geholfen hätte. »Ich halte Ihr Ersuchen für durchaus begründet und verständlich, aber mir sind Hände und Füße durch Weisungen gebunden, die den Fortbestand unserer Dienststelle regeln. Sie bedeuten praktisch, daß wir Auskünfte über eine gesuchte Person nur befugten amtlichen Stellen erteilen können. Es kommen nur ganz bestimmte Behörden in Frage.«
»Mit anderen Worten, Sie können mir nichts sagen«, bemerkte Miller.
»Bitte verstehen Sie doch«, sagte der Staatsanwalt. »Diese Dienststelle ist nicht sehr beliebt. Wenn es nach mir persönlich ginge, würde ich nur zu gern den Beistand der deutschen Presse in Anspruch nehmen.«
»Ich verstehe«, sagte Miller. »Haben Sie denn hier ein Archiv mit Zeitungsausschnitten, wo ich Einsicht nehmen könnte?«
»Nein, so etwas haben wir nicht.«
»Gibt es in Westdeutschland überhaupt eine Nachschlagebibliothek mit archivierten Zeitungsausschnitten, die interessierten Staatsbürgern zugänglich ist?«
»Nein. Die einzigen Archive dieser Art sind von diversen Presseorganen angelegt worden. Das umfangreichste soll das vom Spiegel sein. Aber auch Komet hat ein sehr gutes Archiv.«
»Ich finde das doch recht merkwürdig«, sagte Miller. »Wo in Westdeutschland kann man sich denn heute über den Fortgang der Ermittlungen gegen Kriegsverbrecher informieren? Wo kann man sich Informationen über polizeilich gesuchte SS-Angehörige besorgen?«
Der Staatsanwalt sah etwas verlegen aus. »Ich fürchte, für den Durchschnittsbürger besteht dazu keine Möglichkeit«, sagte er.
»Also gut«, sagte Miller. »Wo sind die Archive mit den Personalien oder zumindest den Namen der SS-Männer?«
»Wir haben ein solches Archiv hier bei uns im Keller«, sagte der Staatsanwalt. »Es besteht ausschließlich aus Photokopien. Die Originale der gesamten Personalkartei der SS wurden 1945 von einer amerikanischen Einheit erbeutet. In letzter Minute versuchte eine kleine Gruppe von SS-Angehörigen in einem Schloß in Bayern die ausgelagerte Kartei mit allen Unterlagen zu vernichten. Sie hatten bereits etwa zehn Prozent des gesamten Materials verbrannt, da stürmten amerikanische Soldaten das Schloß und hinderten sie an der Vernichtung weiterer Unterlagen. Das erhalten gebliebene Material war in einem chaotischen Zustand. Die Amerikaner brauchten zwei Jahre, um es mit deutscher Hilfe zu ordnen. In diesen zwei Jahren entkamen einige der schlimmsten SS-Gewalttäter, die zeitweilig in alliiertem Gewahrsam gewesen waren, und zwar unerkannt. Ihre Dossiers waren in dem Durcheinander nicht aufzufinden. Seit Abschluß der endgültigen Klassifizierung ist die gesamte SS-Kartei in Berlin verblieben, in amerikanischer Treuhänderschaft und Verwahrung. Wenn wir ergänzende Informationen brauchen, müssen auch wir uns an sie wenden. Das funktioniert übrigens ausgezeichnet. Wir können uns über mangelnde Zusammenarbeit mit den Amerikanern nicht beklagen.«
»Und das ist alles?« fragte
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