Die Akte Rosenthal - Seelenfischer-Trilogie 03
ich selbst“, hatte Lukas abgewunken. Er wollte jetzt nicht über Jules sprechen.
Aber Kaschinski hatte nicht locker gelassen. „Sie wissen, dass er ein schlafender Agent war?“
„Schlafender Agent? Was meinen Sie?“
„Dass Lafitte weiter für den libanesischen Geheimdienst Informationen beschafft hat. Oder meinen Sie etwa, die haben einen ihrer Top-Agenten im Rang eines Majors mit einem Händedruck ziehen lassen, damit er in München feinen Damen Locken dreht? Warum wohl hat Lafitte die Nähe zu Ihrer Familie gesucht? Ich sage nur vST und ihre neueste Hawk-Eye-Serie. An der Untergrundbörse werden die Softwarecodes für fünfzig Millionen gehandelt. Aber nicht nur der Libanon, auch die Syrer und Iraner sind ganz scharf darauf. Und die Saudis nicht zu vergessen. Sogar der Aserbaidschaner soll mitbieten. Ich vermute, im Auftrag der Chinesen.“
Lukas hatte die Fäuste geballt und Kaschinski entgeistert angestarrt. Nein, nicht Jules! Unmöglich. Plötzlich hatte er das Bedürfnis verspürt, Kaschinski eine zu verpassen, nur damit dieser endlich den Mund hielt. Er riss sich zusammen: „Ich glaube Ihnen nicht, Kaschinski. Außerdem haben sich die Verhältnisse im Libanon geändert.“
„Das spielt keine Rolle. Hinter jeder Regierung steht eine Schattenmacht, Männer, die zu klug sind, um sich in der Öffentlichkeit blicken zu lassen. Die Männer im Vordergrund mögen wechseln, aber die, die tatsächlich die Fäden in der Hand halten, sind dieselben. Lafitte hielten sie weiter in ihrem Netz gefangen. Er musste liefern, wenn er überleben wollte. Aber was soll´s, Ihr Freund ist tot. Vielleicht helfen Ihnen ja diese Erkenntnisse über seinen Tod hinweg.“
Danach hatte Kaschinski geschwiegen. Wenigstens das.
Nichts wächst so schnell wie der Keim des Misstrauens und Lukas kultivierte jetzt gleich zwei davon: Magali und Jules. War denn gar nichts so, wie es schien? Es war zum Verrücktwerden. Wie sollte man da noch einen klaren Gedanken fassen können, wenn sie wie in einer Schneekugel umherwirbelten?
Kurz nach vier Uhr morgens erreichten die Geschwister Lukas' Haus. Ihr Vater hatte versprochen, dass er spätestens gegen 09:30 Uhr mit dem Lösegeld bei ihnen eintreffen würde.
Als Lucie und Lukas, von den Hunden stürmisch begrüßt, das Haus betraten, konnten sie nicht ahnen, dass ihre Ankunft aufmerksam beobachtet wurde.
Kapitel 18
Am frühen Sonntagabend hatte die Polizei endlich Jeanettes Mutter erreicht und sie darüber ins Bild gesetzt, was ihre Tochter alles angestellt hatte. In der darauffolgenden Szene zwischen Mutter und Tochter hatte Jeanette Hausarrest erhalten, mit der strikten Auflage, sofort nach der Schule nach Hause zu kommen.
Ihr Smartphone hatte die Polizei bereits konfisziert, nun nahm ihr ihre Mutter noch den Schlüssel ihres Motorrollers weg - ein Schlechtes-Gewissen-Geschenk des geschiedenen Vaters, weil er zu wenig Zeit für seine Tochter aufbrachte.
Jeanette hatte geschrien, getobt und gebettelt. Der Roller war ihr ein und alles, das Pfand ihrer Unabhängigkeit. Ihre Mutter war hart geblieben. Jeanette war in ihr Zimmer gestürmt, hatte die Tür mit voller Wucht zugeknallt und sich eingeschlossen.
Ihre anfängliche Schwärmerei für ihren Lehrer Lukas von Stetten hatte sich mit der Zeit zu einer Besessenheit entwickelt und Jeanette hatte sich längst ihre eigene Wahrheit zusammengesponnen. Sie konnte nur noch innerhalb dieser selbst geschaffenen Wirklichkeit denken und handeln.
Gegen halb vier Uhr stand sie auf und zog sich an. Sie schlüpfte in Jeans und ein T-Shirt mit Totenkopf-Emblem, schnappte sich Jacke und Helm und verließ ihr Zimmer durch das Fenster. Ihre Mutter wusste nicht, dass sie einen Ersatzschlüssel für ihr Mofa besaß. Und sie wusste auch nicht, dass Jeanettes Bruder das Moped frisiert hatte. Der kleine Japaner schaffte locker 90 km/h.
Jeanette schlich sich in den Schuppen neben der Garage. Sie schob den Roller bis zur Straße und startete. Sie wollte zu Lukas. Noch immer fraß eine unbändige Wut an ihr: Die Wut auf ihre Mutter, die Wut auf die Polizei und die Wut auf diese scheinheilige Zwillingsschwester, die versucht hatte, sie mit ihrem falschen Lächeln zu täuschen und ihr eine Schuld einzureden. Wie kamen die alle dazu, sie zu verurteilen, sie zu bestrafen? Was konnte sie für die Entführung der Familie ihres Lehrers?
Sie musste unbedingt mit Lukas sprechen, er würde sie verstehen. Und falls die Entführer ihre Drohung wahr
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