Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Albertis: Roman (German Edition)

Die Albertis: Roman (German Edition)

Titel: Die Albertis: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Pfannenschmidt
Vom Netzwerk:
liegt der einzige Trost in jenem Schweigen, das nicht herzlos ist, sondern stilles Verstehen bedeutet. Anne sagte nichts. Sie tat nichts. Sie blieb einfach so stehen. In diesem Moment tauchte Edward auf, der von dem Lärm geweckt worden war.
    «Was ist los?», fragte er. Er sah seinen Bruder am Boden hocken und guckte seine Mutter fragend an. In drei Sätzen schilderte sie ihm, was passiert war.
    «Scheiße!», sagte Edward. «Scheiße, Scheiße, Scheiße!»
    Luis erschien verschlafen in der Tür, mit Laura im Schlepptau, beide Kinder blieben im Flur stehen, sie trauten sich nicht, hereinzukommen.
    «Tu mir einen Gefallen, Edward! Kümmerst du dich um die Kleinen?»
    «Mama, ist jemand tot?», fragte Luis.
    «Pavel hatte einen Unfall», erklärte Edward ruhig. «Stivi ist ... tot.»
    «Anuschkas Stivi ?», hakte Laura nach, und Anne merkte, dass sie es gar nicht begriff.
    «Ihr macht euch jetzt mal fertig. Und zwar oben bei mir im Bad», bestimmte Edward und ging zu den Kleinen. «Vorher suchen wir eure Klamotten raus, und dann frühstücken wir zusammen, okay?» In der Tür drehte er sich um. «Mach dir keine Gedanken, Anne, ich kümmere mich um alles, fahre sie zur Schule und so. In einer Stunde bin ich wieder da, dann reden wir. Hörst du Pavel?»
    Pavel nickte.
    Seltsamerweise verging der Tag schneller als alle anderen jemals zuvor, in rasendem Tempo, mit pausenlosen Geschehnissen, er war voll gespickt mit Ereignissen, die niemanden im Haus zur Ruhe und zum Nachdenken kommen ließen. Als Erstes brachte Paul Pavel zum Röntgen zu einem Kollegen, der tatsächlich ein Halswirbelschleudertrauma feststellte. Pavel wurde krankgeschrieben und erhielt eine Halskrause. Kaum war er wieder zurück, erschien die Polizei und verhörte ihn. Einer der Beamten war damals bei der Hausdurchsuchung dabei gewesen, unablässig schüttelte er den Kopf und äußerte sein Erstaunen darüber, wie viel Pech die Familie hatte, wie viel Unglück über sie hereingebrochen war, und er versicherte Paul und Anne seines Mitgefühls. Dann tauchte Dr. Kötter auf. Er hatte sich in einen viel zu engen, viel zu hellen Sommeranzug gezwängt, denn es war warm draußen, trotzdem schwitzte er in einem fort und wischte sich mit einem großen weißen Taschentuch ständig die Stirn trocken und das Genick, während er mit Pavel sprach, mit Anne und Paul. Dr. Kötter hatte sein neues Handy mitgebracht und es mit den Worten «Das stellen wir jetzt mal ab!» ausgeschaltet und auf den Sofatisch vor sich gelegt. Immer wieder starrte er, während er nervös hin und her rückte, sich den Schweiß abwischte und Notizen kritzelte, auf das Gerät, so, als würde es ihm einen Streich spielen und jeden Moment klingeln. Er trank hintereinander vier Tassen starken schwarzen Kaffee, den Frau Merk zubereitet hatte, bevor sie sich diskret nach unten zurückzog, um zu bügeln. Nachdem Dr. Kötter – dem es durch seine Art, die Dinge streng juristisch zu betrachten, immerhin gelungen war, Pavel ein wenig zu beruhigen – wieder gegangen war, begab sich Paul in die Praxis und Anne telefonierte mit Wolf, um ihn zu informieren.
    Plötzlich waren alle ihre Querelen vergessen, er war rührend besorgt und versprach, sich sobald wie möglich zu melden. Kaum hatte Anne aufgelegt, klingelte das Telefon. Freunde von Anuschka riefen an, Freunde von Pavel, Ebba – um deren Rückruf sie bereits morgens gebeten hatte – meldete sich und wollte vorbeikommen, was Anne aber ablehnte. Schließlich tauchten Klassenkameraden von Anuschka auf und brachten Blumen vorbei und einen Brief der Lehrerin. Doch Anuschka wollte keinen sehen. Wie immer, wenn es ihr schlecht ging, verkroch sie sich in ihrem Zimmer und ließ niemanden zu sich. Als Luis aus der Schule zurückkam, berichtete er, dass sich die Geschichte von dem Unglück wie ein Lauffeuer herumgesprochen hatte und alle nur noch dieses Thema kannten. Es war wie ein Spießrutenlaufen gewesen, für ihn, und auch für Laura, die sich von den letzten zwei Stunden – dem Sportunterricht – hatte befreien lassen. Traurig nahm der Rest der Familie das Mittagessen ein, keiner von ihnen hatte Hunger. Als sie fertig und gerade mit dem Abräumen beschäftigt waren, läutete es erneut an der Haustür. Anne öffnete – und schreckte zurück. Es war Sybille.
    «Ich wollte nach Anuschka sehen!», erklärte sie und trat ein.
    Zum Glück erschien sofort Paul und bat seine Frau herein. Sie trug ein elegantes dunkles Sommerkostüm aus Baumwolle, schlichten

Weitere Kostenlose Bücher