Die Albertis: Roman (German Edition)
Zeit geworden. Ihm kam in den Sinn, wie Edward geboren worden war, und wie er tief in der Nacht mit dem vor Aufregung fast verrückt gewordenen Wolf in dessen Wohnung auf den Anruf aus der Klinik gewartet hatte. Wie er seinen Freund hingefahren hatte, wie Wolf zuerst allein in das Zimmer gegangen war und ihn dann hereingerufen hatte, wie Anne im Bett lag, ganz blass und erschöpft und glücklich, mit dem kleinen Kerl auf dem Bauch, der zufrieden schlief. Schon damals hatte er dieses tiefe Gefühl von Verbundenheit mit Edward gespürt, als Taufpate hatte es sich verstärkt, und immer war es so geblieben: Annes Ältester war sein Liebling. Er hatte sich einen Jungen gewünscht, sein Leben lang, und Edward hatte diese Zuneigung stets gespürt und erwidert und ihm auf seine Art dieses Gefühl gegeben, einen Sohn zu haben. Mit Pavel lagen die Dinge anders. Er war «so mitgelaufen», wie Anne manchmal sagte, er war ihm immer etwas fremd geblieben, vielleicht auch deshalb, weil Pavel – im Gegensatz zu seinem ebenso charmanten wie pragmatischen Bruder – nie den Versuch gemacht hatte, Paul näher zu kommen, ihn mit Zuneigung zu umwerben und zu bestechen. Man akzeptierte sich. Fertig. Luis schließlich erinnerte ihn immer ein wenig an seine Tochter Laura: Das Verrückte an ihm, das Unberechenbare und Überraschende, amüsierte ihn. Doch während er seine Tochter abgöttisch geradezu liebte, beguckte er Luis, der ihn fast behandelte wie seinen eigenen Vater, als wäre der Junge ein fremdes Kind, ein Komiker, über den man lacht, ein Paradiesvogel, den man bestaunt.
«Wie ist es mit Schwimmen?», fragte er, nachdem sie die Ruten beiseite gelegt und ihren Fang bestaunt hatten und sich ins Gras setzten, um sich auszuruhen. Die drei waren begeistert. Weil sie keine Badehosen mit hatten, zogen sie sich nackt aus und sprangen johlend ins Wasser, planschten herum und schwammen um die Wette. Die Jungs waren fröhlich, und Paul war glücklich, und er hatte das Gefühl, genau das Richtige getan zu haben. Während Edward mit seinem kleinen Bruder weiter herumplanschte und spielte, begann Pavel auf einmal hinauszuschwimmen. Er warf Paul einen Blick zu, der, ohne dass er etwas dazu sagte, ihm bedeutete: Komm mit. Langsam und bestimmt, mit kräftigen Zügen schwammen sie nebeneinander her.
«Toll hier!», sagte Pavel.
«Das machen wir jetzt öfter, was meinst du?»
«Paul?»
«Ja?»
«Ich muss dir was sagen.» Pavel tauchte kurz unter, kam wieder hoch und paddelte dann auf der Stelle. «Ich wollte das schon längst tun!»
«Hilfe!», schrie Luis von hinten. «Er duckert mich unter.» Paul und Pavel drehten sich nach hinten um. Die beiden anderen waren ungefähr hundert Meter von ihnen entfernt.
Edward winkte ihnen zu. «Alles in Ordnung!», rief er.
«Alles in Ordnung!», wiederholte Luis und lachte hell auf.
«Ich hatte mir vorgenommen, dich zu hassen!», erklärte Pavel und spuckte etwas Wasser aus dem Mund. «Ich wollte dich nicht akzeptieren, jedenfalls nicht als Mann an Mamas Seite.»
«Ich weiß.»
«Aber inzwischen ...», er legte eine Pause ein, «... weiß ich: ich war ziemlich bescheuert.»
«Na ja, wir haben uns halt zusammengerauft, oder?»
«Ich konnte es auch gar nicht. Weißt du, Paul, als das alles noch so normal war, also, als wir euch besucht haben und Mama und Papa waren noch ... na ja: glücklich miteinander, da habe ich dich bewundert. Viel mehr als Papa. Du warst immer gut gelaunt. Immer super zu uns. Erfolgreich, hattest alles, was wir auch haben wollten. Ich fand dich, wenn ich ganz ehrlich bin: toller, als ich Papa fand. Und dann ...», Pavel rieb sich mit der linken Hand das Wasser vom Gesicht, «... wie wir das alles erfahren haben von Mama und dir ... es hat mir wehgetan. Mir hat wehgetan, was du mit Papa gemacht hast. Du wahrst doch sein Freund. Ich wollte dich, na ja, eben hassen!»
Paul sah ihn an: «Du hast Recht. Und das ist eigentlich auch das Schlimmste an der Geschichte. Etwas, das ich deiner Mutter noch nie gesagt habe, und das werde ich auch nicht, und ich bitte dich auch, die Schnauze zu halten ...»
«Klar.»
«... etwas, das ich nie verwinden werde. Ja, verwinden. So sagt man ja wohl. Dass ich ihm das angetan habe. Dass ich diese Freundschaft aufs Spiel gesetzt habe. Dass ich nicht mehr sein Freund bin und er nicht mehr meiner. Und dass man es nie, so lange wir leben, wird ändern können: Liebe, denke ich manchmal, ist vergänglich. Aber Freundschaft: die soll doch fürs Leben
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