Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
eingeschlossen. Seit Stunden war Helene nun mit ihrem Bruder allein, einmal war sie in die Küche gegangen, um etwas zu essen, um gleich darauf wieder in die Kammer zurückzukehren. Die hilflose Untätigkeit machte sie mürbe. Sie hatte es satt zu warten, während alle anderen ihren Aufgaben nachgingen, und beinahe wäre sie sogar zurück in die Wohnung gegangen, um Essenzen und Gewürze aus ihrer Küche zu holen. Sie hätte zu gern gewusst, ob das von ihr gefertigte Konfekt es vermochte, den Geist ihres Bruder wieder in diese Welt zu locken, und sei es nur für wenige Augenblicke. Allein der Gedanke, auf Johann zu treffen, hielt sie davon ab.
Es war fast Abend, als Hufeland, von seinen Vorlesungen zurückgekehrt, das Zimmer betrat und sich nach dem Befinden des Kranken erkundigte. Er zeigte sich überrascht, als er sah, wie Albert auf dem Stuhl am Fenster saß und ruhig atmend ohne Muskelzucken hinausblickte. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft.
Helene hielt sich im Hintergrund und versuchte, ihre Nervosität zu verbergen, die sie bei seinem Eintreten überfallen hatte. Im Stillen hoffte sie, er würde es nicht bemerken, als er sich umdrehte und sie mit undurchdringlichem Blick ansah.
»Wir sollten reden«, sagte er schließlich und bat sie, ihm nach draußen zu folgen.
Der Garten lag verlassen. Die Luft war noch warm, erst mit der langsam sinkenden Sonne frischte der Wind auf, der die Hitze erträglich machte und die Tischtücher auf Leinen flattern ließ, die sich quer über die Beete spannten.
Sie hatten sich gerade auf der schmalen Bank niedergelassen, als eine der Mägde kam und anfing, die Wäsche von der Leine zu nehmen. Ein paar Studenten des Hauses waren ihr gefolgt und beobachteten |370| ihre Bewegungen aus sicherer Entfernung, einer warf ihr eine Kusshand zu.
»Wir sollten besser ein Stück gehen«, sagte Hufeland.
Sie verließen das Grundstück und folgten der Straße zur Stadt hinaus, gingen dabei mit gebührendem Abstand, Helene wenige Schritte hinter ihm. Den Fürstengraben entlang, an flanierenden Menschen vorbei, an Pärchen und Studenten, die Hufeland freundlich grüßten. Erst als sie den Wald erreichten und niemandem mehr begegneten, wartete er und begleitete sie den Pfad entlang, ohne dass sich ihre Hände berührten.
Die Sonne tauchte langsam in die Wipfel der Bäume ein, warf ihr Licht durch die kühlen Gänge des Waldes. Helene konnte das Plätschern eines Baches hören, der sich in einen kleinen Tümpel ergoss. Das Licht funkelte in tausend kleinen Brechungen auf dem Wasser, die noch verstärkt wurden, als Hufeland einen Stein über das Wasser warf und in mehreren Sprüngen auf der Oberfläche tanzen ließ.
Sie ließen sich am Ufer nieder. Nach einer Weile setzte er an zu sprechen. »Was auch immer gestern in mich gefahren ist«, sagte er leise und verschränkte die Hände, »es war nicht richtig.«
»Es ist wegen deiner Frau, nicht wahr?« Es schnürte ihr die Kehle zu. Sie sollte aufspringen, einfach weggehen, doch sie tat nichts dergleichen.
»Ich habe Juliane kennengelernt, als meine Praxis in Weimar gerade florierte und ich einigen Damen ausweichen musste, die es sich in den Kopf gesetzt hatten, mich zu erobern. Sie hingegen war jung und liebenswürdig, fern von allem Kalkül. Sie war anders, unverdorben, und so verbrachte ich immer mehr Zeit mir ihr. Ihr Vater, ein Pfarrer, gab nicht eher Ruhe, bis ich sie schließlich ehelichte, obgleich ich gern noch ein Jahr gewartet hätte. Aber sie gewann mein Herz, also stimmte ich zu.«
»Warum erzählst du mir das alles?«
»Weil ich möchte, dass du mich besser verstehst.« Er nahm einen neuen Stein und ließ ihn über das Wasser gleiten. »Mein Leben war so, wie man es sich nur wünschen konnte. Wir waren glücklich, |371| bekamen zwei Kinder. Ich widmete mich der Medizin, praktisch und theoretisch, schrieb Abhandlungen über die Bekämpfung der Pocken und zur Pflege kranker Kinder. Alles war gut, wie es war. Bis ich nach Jena zurückkehrte und erkannte, dass die Welt nicht so ist, wie ich sie mir erdachte. Nicht mein Leben und nicht meine Ehe.« Er hob den Kopf und sah sie an. »Es war nicht richtig, mich dir in dieser Situation zu nähern, doch es ist geschehen, und ich kann mich nur dafür entschuldigen. Du bist eine verheiratete Frau.«
»Du nimmst Rücksicht auf Johann?« Das war absurd, wie das Gespräch, das sie gerade führten. Helene schaute missmutig zu Boden.
»Auch auf Juliane.«
»Liebst du sie?«
Hufeland
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