Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
zögerte. »Sie ist mir eine gute Ehefrau.«
Helene schwieg, griff nach einem Grashalm und zog ihn aus der Erde. »Das ist mehr, als man verlangen kann«, sagte sie schließlich, und es klang spöttischer, als sie es gemeint hatte.
»Die Liebe ist allzu oft der Begierde unterworfen.
Sie ist ein aufflackerndes und flüchtiges Feuer
«, zitierte er Montaigne. »Wenn man vor Gott einen Bund schließt, dann ist man ihm verpflichtet. Auch in schlechten Tagen. Niemand erwartet, dass die Ehe ein einziges Freudenfest ist. Juliane ist eine fürsorgliche Gattin und Mutter. Und da sind die beiden Kinder …«
Sie schwieg und fuhr mit der Hand durch das Wasser, ließ es in kleinen Tröpfchen auf die bewegte Oberfläche regnen.
»Was ist mit Johann?«, fragte er plötzlich.
Helene antwortete, ohne ihn anzusehen. »Ich habe ihn geheiratet, weil er mir das Gefühl gab, geliebt und beschützt zu werden. Er war da, als ich ihn brauchte. Aber das ist lange her. Heute ist es, als hätte ich die Jahre mit einem völlig Fremden verbracht.«
»Ich habe vor Beginn der heutigen Vorlesung versucht, mit ihm zu sprechen. Aber er war nicht da.«
Helene nickte. Es schmerzte, sich mit ihm zu unterhalten, als wären sie gute Freunde. Sie sprachen über ihre Ehepartner, taten |372| vernünftig, und doch wünschte sie sich nichts sehnsüchtiger, als dass er sie noch einmal so küsste, wie er es am Abend zuvor getan hatte.
Missmutig wischte sie sich die nasse Hand an ihrem Kleid ab und richtete sich auf. »War es das, was du mit mir besprechen wolltest?«
»Ja.«
Sie wollte aufstehen und gehen, doch es fühlte sich nicht richtig an. Wie konnte sie stillhalten und so tun, als wäre sie so furchtbar einsichtig? Denn das war sie nicht.
»Christoph, nicht unser Kuss war falsch«, stieß sie hervor. »Es ist diese verdammte Moral. Du sagst, die Liebe sei ein flüchtiges Feuer, und betonst es, als wüsstest du, wovon du sprichst. Aber tust du das wirklich? Wie kannst du derart ruhig und überlegt darüber reden, als sei es eine Sache des Verstandes, nicht eine des Gefühls? Wenn man einem Menschen begegnet, der seine Seele berührt, dann ist das nichts, was im nächsten Moment wieder vergessen ist. Es ist, als habe man endlich seine verlorene Hälfte gefunden, ohne die man fortan nicht mehr leben möchte.« Sie sah ihn fest an. »Wenn du mir jetzt sagst, du habest nicht so empfunden, als wir uns einander nahe waren, dann werde ich dich ohne Widerrede gehen lassen.«
»Und wenn ich deine Empfindungen teilte, was würde es ändern?«
»Alles.«
Hufeland sah sie aufgebracht an. »Ich habe geschworen, meiner Ehefrau ein treuer Mann zu sein und den Kindern ein guter Vater. Wie könnte ich Eduard und Wilhelmine im Stich lassen?«
»Das würde ich niemals von dir verlangen!« Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, trotz ihrer Wut oder vielleicht gerade deshalb. »Aber willst du deswegen deine Gefühle verleugnen?«
Die untergehende Sonne färbte den Himmel, zog eine rötliche Spur hinab in die milchige Dämmerung und hinterließ eine nur langsam abnehmende Wärme. Vom Tümpel stieg ein erdiger Geruch, mischte sich mit dem der Kiefern, von Harz und Tannenzapfen. |373| Hufeland beschäftigte sich mit dem Moos zu seinen Füßen. Seine Stirn war angestrengt.
Wenn ich nach Königsberg heimgekehrt bin, dachte sie voll Wehmut, werde ich mit Albert ans frische Haff fahren, wo die Muscheln die Pfähle pflastern und die Gischt an die Kaimauer spritzt. Sie würden den Möwen zusehen, wie sie am Kliff entlangsegelten, auf der Jagd nach Fischen, und barfuß in der Brandung waten.
»Ich habe mich dazu entschlossen, mit Albert nach Königsberg zurückzukehren, sobald es ihm besser geht«, sagte sie in die Stille. »Ich werde noch einmal ganz von vorn beginnen und eines dieser neuen Kaffeehäuser eröffnen, wie ich sie in Berlin gesehen habe. Mit Marzipankonfekt und Kuchen und mit einem Raum voll Bücher und Zeitungen. Eine Lesekonditorei.«
»Du willst nach Königsberg?« Hufeland konnte sein Erstaunen kaum verbergen. »Es wird wohl das Beste sein. Für euch beide.« Dann lächelte er und schien froh um die versöhnliche Wendung, die das Gespräch plötzlich genommen hatte. »Ich habe heute mit Hahnemann über Albert gesprochen. Du hast recht, wir sollten ihn von hier fortbringen. Der Doktor bot an, ihn nach Georgenthal zu nehmen, wo er einige Wochen im Jagdschloss des Fürsten bleiben könnte. Er meinte, es würde ihm dort gut gehen, in der Ruhe und der
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