Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Hufeland ballte die Hände und hielt sie nur mühsam zurück. Nein, er würde sich jetzt nicht zu Handgreiflichkeiten herablassen. »Diese Frau heißt Helene Vogt, und sie ist die Schwester eines Patienten, den ich bei uns aufgenommen habe. Ebenso wie Samuel Hahnemann, einen außergewöhnlichen Arzt, den ich dir gern vorstellen werde, sobald du dieser albernen Szene ein Ende machst.«
»Du lügst! Davon hat der Bursche nichts erzählt.«
Er schnaubte. »Willst du es mir zum Vorwurf machen, dass ich unsere Untermieter nicht in meine beruflichen und privaten Belange einweihe? Ich hatte vor, morgen nach Weimar zu fahren und mit dir darüber zu sprechen.«
»Du wolltest deswegen nach Weimar kommen? Dann sind meine Vorwürfe berechtigt?« Sie blickte ihn auffordernd an, doch Hufeland schwieg. Ihre Augen weiteten sich, als sie zu verstehen begann. »Du liebst sie, nicht wahr?«
»Ja, das tue ich.«
Ein leiser Aufschrei entfuhr ihr. »Diese Frau gehört doch zu jener Sorte Weibsstück, die nur darauf lauert, einen bedeutenden Mann an sich zu reißen! Und du hattest nicht den Schneid, dich gegen ihre Reize zu wehren! Ich bin entsetzt, was du für schlechten Geschmack beweist. In Weimar hattest du noch mehr Stil!« Sie spie es aus, ihr Blick war voller Verachtung, und sie fuhr fort, obwohl Hufeland sie mühsam beherrscht dazu aufforderte, diese Unverfrorenheit zurückzunehmen. »Ich hätte ahnen müssen, dass eine |384| andere dahinter steckt, als du mich fortgeschickt hast, aber du sprachst ja von Sorge und Gefahr für Leib und Leben. Wie hätte ich dem nicht glauben sollen? Du hast vor Gott geschworen, mir treu zur Seite zu stehen, und ich verlange, dass du dich wenigstens hierin als Ehrenmann zeigst, hörst du?« Damit verfiel sie in lautes Heulen. Und als Hufeland nun rief, sie möge endlich zur Vernunft kommen, setzte sie plötzlich wieder beherrscht nach: »Diesem anderen Mädchen, diesem Minchen, habe ich übrigens gekündigt. Sie war einfach zu schlampig, als dass ich den Umgang mit unseren Kindern gutheißen könnte. Du siehst, zumindest einer von uns sorgt dafür, dass es ihnen gut geht.«
Er sah sie voll Abscheu an, die Hände noch immer geballt, und als er ihr seine Antwort gab, sprach er langsam, betonte Wort für Wort. »Ich kann nicht länger mit dir leben. Es ist vorbei.«
Damit verließ er den Raum und ignorierte das nun folgende Geschrei. Ebenso wie das Klirren der Vase, die in diesem Moment auf dem Steinboden zerschmetterte.
Julianes Ankunft veränderte alles. Das glückstrunkene Gefühl, die Phantasien von Ruhe und Zukunft, die unmittelbare Aussicht, die Stadt und deren Bedrohungen hinter sich zu lassen. Seitdem sie da war, drehte sich alles um sie, und Hufeland fragte sich, wie er diesen Tag mit Anstand hinter sich bringen konnte. So entging ihm auch, dass Caspar seit dem frühen Morgen verschwunden war.
Helene hatte sich unterdessen in Alberts Kammer zurückzogen. Es war, als wolle sie Schutz vor dem Sturm suchen, der sich über ihnen zusammenbraute. Hahnemann war ihr gefolgt.
Hufeland hatte sich an seinen Schreibtisch geflüchtet, wo er sich mit den Händen über das Haar fuhr und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Es war beinahe elf. Die Studenten saßen im Auditorium und erwarteten seine Vorlesung, er sollte hingehen und sie nicht enttäuschen, nur noch dieses eine Mal. Am nächsten Morgen, so hatten Hahnemann und er besprochen, wollten sie abfahren, noch vor Sonnenaufgang. Doch nun war alles anders.
Die Zeit zerrann ihm zwischen den Fingern, er sollte aufstehen |385| und Juliane augenblicklich fortschicken, warum zögerte er noch? Es hatte lange genug gedauert, zu begreifen, dass er ein Leben an ihrer Seite nicht länger ertragen konnte, was hinderte ihn daran, endlich durchzugreifen, laut zu werden, hier und jetzt? Doch dann dachte er an seine beiden Kinder, Eduard und Wilhelmine, und ihm wurde übel.
Die Tür wurde aufgerissen. Juliane. Ihre Augen waren stark gerötet.
»Ist es dir ernst mit dem, was du heute Morgen gesagt hast? Willst du mich wirklich verlassen?«
Er nickte entschlossen. »Es ist mir mehr als ernst, Juliane. Ich kann so nicht weitermachen.«
»Ich habe dich mit meiner ständigen Eifersucht vertrieben, nicht wahr?« Sie hob die Hände, als sein Blick sich verdunkelte. »Nein, sag nichts. Mein krankhaftes Misstrauen ist eine Schwäche. Glaub nicht, ich würde das nicht wissen. Genug, wenn es mich im Stillen beschämt, aber
Weitere Kostenlose Bücher