Die Alchemie der Naehe
du an den Schaufenstern vorbei. Du sahst dir gerade fasziniert eine wirklich schöne Taucheruhr von Zenith an, als hinter dir plötzlich Gelächter laut wurde: ein quietschendes, mühsam gedämpftes, typisch grundloses Mädchenlachen. Eine Art Lachen, das man nicht auf Anhieb verstand, weil es nicht so offen war wie ein Männerlachen. Es hatte etwas Komplizenhaftes wie ein zarter Sprühregen.
Du drehtest dich um, weil du sehen wolltest, wer diesen magischen Laut hervorgebracht hatte. Natürlich war es Selvaggia mit ihren vier Freundinnen im Schlepptau. Aller Augen waren auf dich gerichtet. Du überlegtest kurz, ob sie sich wohl über Signor Johnny lustig machten, während sie vielsagende Blicke tauschten â so nach dem Motto: »Hab ich euch nicht gesagt, dass er nach mir suchen wird?« Doch sie grinste nicht, sondern lächelte freundlich.
»Ciao«, sagtest du und versuchtest deine Verlegenheit abzustreifen. »Die Welt ist klein.« Und mit einem Lächeln: »Ich setze mich kurz hin.« Dabei sahst du zu einem der Sofas im AuÃenbereich der knallbunten Bar hinüber, das hinter ihnen stand. Du machtest es dir darauf bequem und bestelltest bei dem Typen, der an den Tischen bediente, einen Fruchtcocktail. Doch die Mädchen blieben, wo sie waren. Sie schienen den Wink mit dem Zaunpfahl nicht zu begreifen, was ja auch nicht ganz einfach war. Selvaggia allerdings hatte ohnehin längst beschlossen, sich von ihren Freundinnen zu verabschieden â was sie mit der Anmut einer Prinzessin tat, die ihre Zofen entlieÃ. Anscheinend hatte sie nicht nur Johnny völlig in ihrer Gewalt. Die vier Mädels warfen dir einen letzten Blick zu. Sie wirkten sympathisch mit ihrem hellen, übermütigen Lachen. Sie winkten, und du winktest zurück, während Selvaggia sich neben dir aufs Sofa fallen lieÃ.
»Gibâs zu, du hast mir nachspioniert!«
»Das hättest du wohl gern, aber das stimmt nicht«, logst du.
Der junge Kellner stellte den Fruchtcocktail auf das Tischchen. »Was möchtest du trinken?«, fragtest du Selvaggia.
»Dasselbe, was dieser Lügner bestellt hat«, sagte sie amüsiert zum Kellner. Der nickte höflich und entfernte sich.
»Wenn ich das richtig sehe«, sagtest du ungerührt, »hat sich deine Befürchtung, in Verona keine Freunde zu finden, nicht bewahrheitet.«
»Ja, das stimmt. Ich muss zugeben, dass ich schnell neue Leute gefunden habe. Aber ob das echte Freunde sind, muss sich erst noch zeigen.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, es sind eigentlich eher Fans statt Freundinnen. Bei den vielen Fragen nach meinen Klamotten, meinen Lieblingsorten, meinen Interessen und meinem gut aussehenden Freund scheinen sie jedes Interesse an ihrem eigenen Leben verloren zu haben.«
»Ogottogott!«
»Allerdings! Dabei hatte ich eigentlich â bis auf das mit dem âºgut aussehenden Freundâ¹, wogegen ich trotz deiner haarsträubenden Lügengeschichten nichts habe â auf etwas tiefschürfendere Frauengespräche gehofft.«
»Ogottogott.«
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte sie lachend. »Aber jetzt weià ich wenigstens, wie sich Hollywoodstars auf zu langen Pressekonferenzen fühlen müssen.«
»Das weiÃt du jetzt also.«
»Und ob.«
»Und wie sind sie sonst so?«
»Wahnsinnig öde.«
»O je, verstehe. Und was haben sie über Signor Johnny gesagt?«
»Willst du die Wahrheit wissen?«
54
Selvaggia tanzte gerade mit ihrem Band zu einer beschwingten Melodie, die sie für ihre neue Darbietung ausgewählt hatte. Ihre Bewegungen waren flieÃend und exakt, extrem beherrscht.
Voller Bewunderung wohntest du ihrem zweiten Wettkampf in rhythmischer Sportgymnastik bei. Ende des Monats würden die regionalen Schwimmwettkämpfe stattfinden. Solltest du sie gewinnen, würde ein Traum für dich wahr: Dafür trainiertest du schon seit Jahren, und die Wettkämpfe waren dir so wichtig, dass du sie unbedingt dabeihaben wolltest, um ihr deinen Sieg zu widmen â falls du denn siegen solltest.
Auf einmal wurden ihre Gesten sinnlicher: Sie schien sich fortzubewegen wie eine Schlange, deren unbezähmbarer Schwanz vom flatternden Band nachgeahmt wurde.
Wie schon beim letzten Mal war die Zuschauertribüne des Sportpalasts rappelvoll. Diesmal hattest du darauf verzichtet, dich zu euren Erzeugern oder in
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