Die Alchemie der Naehe
auch in tiefe Verzweiflung stürzte, als würde eine alte Wunde wieder aufbrechen, die du lange ignoriert hattest: »Iâve found a wa y / a way to make you smile.«
Als das Lied zu Ende war, schlang Selvaggia die Arme um ihren Oberkörper und verharrte so, bevor sie sich vor dem bis lang stummen, ungerührten Publikum erhob und tosender App laus ertönte, auf den sie mit Dankesverbeugungen reagierte. Erst da wurde dir mit Staunen bewusst, dass du, ohne es zu merken, geweint hattest. Und weil dir das lächerlich vorkam, absurd, ja unmännlich, konntest du kaum glauben, dass du dich so hattest mitreiÃen lassen.
Gleichzeitig sahst du, wie sie da unten leicht nervös mitten auf der Bühne stand. Statt zu den Umkleidekabinen zu gehen, eilte sie dir entgegen und machte gar nicht erst viele Worte, sondern umarmte dich fest. Du erwidertest ihre Umarmung, bedecktest ihre zarten Wangen sofort mit Küssen. »Du warst die Beste, mein Schatz, du warst einfach die Beste«, flüstertest du ihr ins Ohr. Sie atmete noch durch den Mund vor lauter Anstrengung, was dich ganz besonders rührte. Und noch während sie sich von dir und aus deiner Umarmung löste, saht ihr euch in die Augen, du weiÃt es. Und plötzlich erkanntest du darin deinen Schmerz.
53
Obwohl du das vorübergehend gehofft hattest, veränderte sich Selvaggia durch die Liebe zu dir kein bisschen. In deiner Begeisterung über eure ersten Wochen als Liebespaar hattest du doch tatsächlich geglaubt, ja dir eingebildet, dass sie sich ändern würde. Aber in Wahrheit war deine Schwester genauso unverbesserlich und durchtrieben wie vorher â und du bliebst ihr treu ergebener, durchgeknallter Lakai, der alles tat, was sie wollte.
Und so kam es an einem Freitag zum x-ten Streit.
Nach der Schule hattet ihr Linguine al pesto gekocht, die einfach köstlich aussahen. Ihr hattet gerade den Tisch gedeckt, als sie plötzlich sagte: »Morgen ist Samstag, und da gehe ich am Nachmittag mit meinen Freundinnen aus.« Eine ziemlich eindeutige, ja einseitige Ansage ohne jede Vorwarnung. Deine Nudeln blieben unangetastet, und es muss nicht extra betont werden, wie sehr dir die Sache gegen den Strich ging â schlieÃlich ertrugst du es schon kaum, während des Unterrichts von ihr getrennt zu sein. Klar, dass es dir da nicht passte, den Samstagnachmittag ohne sie verbringen zu müssen. Für dich war das eindeutig ein Affront.
Andererseits war es völlig normal, dass sie sich Freundinnen wünschte: Freundinnen, die ihr zuhörten und Ratschläge erteilen konnten. Obwohl du alles tatst, damit es ihr gut ging, obwohl du ihr zuhörtest und Verständnis für sie aufbrachtest, konntest du in Sachen weiblicher Intuition eindeutig nicht mithalten.
Du schwiegst verstockt. »Prima«, platzte es dann aus dir heraus. »Und, wo geht ihr hin?«
»Wir bummeln ein bisschen durch die Stadt. Am Samstag ist dort jede Menge los, auÃerdem haben die Geschäfte auf.«
Sie sagte es ganz gelassen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Na gut. Ebenso ungerührt informiertest du sie über deine Pläne: »Dann macht es dir bestimmt nichts aus, wenn ich mit meinen Freunden weggehe.«
»Doch.«
»Warum denn?«
»Ich will nicht, dass du mit deinen Freunden weggehst. Hast du nicht gesagt, dass du mich liebst?«
»Was ist denn das für ein Unsinn? Dann müsste meine Wenigkeit auch was dagegenhaben, dass du mit deinen Freundinnen ausgehst. Hab ich aber nicht, was mir übrigens deutlich schwerer fällt, als du denkst.«
»Aber mein Leben besteht nicht nur aus dir, mein Lieber. Während du stets behauptet hast, dass ich dein Ein und Alles bin, nehme ich dich bloà beim Wort.«
Da musstest du lachen. Sie sollte Jura studieren! Sie konnte spielend leicht Spitzfindigkeiten aus dem Hut zaubern und sich versteckte Klauseln ausdenken.
»Dann vergiss nicht, dass es mir auch nicht gefällt, dass du den Samstagnachmittag ohne meine Wenigkeit verbringst. Aber wenn du das nun mal unbedingt willst, habe ich nichts dagegen. Findest du das nicht etwas ungerecht?«
Und das alles vollkommen gelassen und beherrscht, ohne laut zu werden, wild zu gestikulieren oder sonst was! Meine Güte, das hörte sich ja an wie ein Gespräch unter uralten Freunden!
Doch nur fürs Protokoll: »Ich will es aber nicht, und damit basta«, erwiderte Selvaggia.
Du
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