Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
weiteres Vorgehen.
Venedig war eine Stadt ohne Keller. Die wenigen, die es irgendwann einmal gegeben hatte, waren seit vielen Jahren überflutet und unzugänglich.
Um so erstaunlicher, daß es Lascaris Vorfahren gelungen war, unterhalb des Palazzo ein trockenes Gewölbe anzulegen. Wände, Boden und Decke waren mit Teer abgedichtet, so vollkommen, so nahtlos, daß in den vergangenen zweihundert Jahren keine Spur von Feuchtigkeit eingedrungen war. Die Erbauer hatten es nicht für nötig gehalten, die Teerflächen zu verkleiden, und so bot sich das Gewölbe den wenigen, die davon wußten, als pechschwarze Blase im Herzen der Lagune dar.
Die Tarnung war perfekt. Oberhalb der Gewölbedecke befand sich eine zwei Meter hohe Wasserschicht, deren Oberfläche bis ins Treppenhaus des Palazzo reichte; von ihr hatte das Plätschern gerührt, das Gillian und die Kinder in der Eingangshalle vernommen hatten. Niemand, der nicht in die Geheimnisse des Ordens eingeweiht war, konnte ahnen, daß sich unterhalb des Wassers ein begehbarer Saal befand.
Hier unten versammelten sich die letzten Mitglieder des Templum Novum zu ihren Beratungen, übten sich in der altüberlieferten Waffenkunst, beteten, stritten – und zweifelten immer wieder an ihrem Tun, am grundlegenden Sinn ihrer Existenz.
Neben Gillian und Lascari bestand der Templum Novum aus sieben weiteren Ordensbrüdern. Keiner war jünger als Mitte Fünfzig, die meisten waren sogar weit über sechzig Jahre alt. Schon lange war abzusehen, daß die verbliebenen neun die Sargträger des Ordens sein würden. Eines, vielleicht zwei Jahrzehnte trennten den Templum Novum von seinem endgültigen Untergang, ob mit oder ohne Lysanders Zutun. Eine bedrückende Gewißheit, die sich durch jedes Gespräch, jedes Gebet, jede Handlung der alten Ordensbrüder zog.
Am Morgen nach ihrer Ankunft im Palazzo Lascari saß Gillian gemeinsam mit sechs weiteren Brüdern um eine kreisrunde Tafel im Zentrum des Teergewölbes. Nur ein einziger fehlte.
Gian und Tess spielten derweil auf den alten Trockenspeichern des Palastes Verstecken, wühlten in uralten Kisten und zerrten die Vergangenheit des Lascari-Clans ins staubige Zwielicht des Dachbodens. Niemand nahm daran Anstoß, am allerwenigsten der Großmeister selbst. Nach seiner erfolglosen Rede am Vorabend war er sichtlich erleichtert, daß sich die beiden nun mit sich selbst beschäftigten.
Gillian hatte kaum seinen Bericht über die Erinnerungen der Kinder beendet, als aus einer Öffnung an der Wand des Gewölbes eine hohle Stimme ertönte. Das Sprachrohr führte hinauf ins Erdgeschoß. Ein Diener meldete das Eintreffen eines dringlichen Telegramms. Einer der Brüder eilte nach oben, um es in Empfang zu nehmen.
Als er zurückkehrte, klang er gehetzt und außer Atem. Und einen Augenblick später verschlug die Botschaft auch den anderen die Sprache. Sie hatten mit vielem gerechnet, nur nicht damit.
Das Telegramm stammte von Bruder Bernardo. Lascari hatte ihn auf Drängen Gillians vor einigen Wochen nach Deutschland geschickt. Getarnt als alternder Vogelkundler wohnte er im Dorf unweit von Schloß Institoris und beobachtete, was dort vor sich ging. Bernardo war maßgeblich an der Befreiung der Kinder beteiligt gewesen. Bernardo war es auch gewesen, der die Nachricht von Auras Abreise nach Venedig gesandt und damit den Ausschlag gegeben hatte, die Kinder in die Schweiz zu bringen.
Seine heutige Botschaft aber war alarmierender als alle bisherigen.
Morgantus im Schloß, hieß es da. Zehn Männer bei ihm. Dienerschaft entlassen. Damit keine weitere Möglichkeit, Näheres zu erfahren. Erwarte Instruktionen.
KAPITEL 9
Der alte Mann kam näher, und Aura spürte schlagartig, wie ihr schlecht wurde. Ihr Magen zog sich zusammen, ihre Knie wurden weich und drohten einzuknicken. Sie fürchtete, wenn er ihr die Hand schütteln würde, müßte sie sich übergeben.
Aber der Alte blieb zwei Schritte vor ihr stehen und betrachtete sie argwöhnisch. Dann sagte er etwas in der Sprache der Swanen. Marie, die neben Aura und Christopher stand, übersetzte: »Er will wissen, ob Sie wegen des Goldes hier sind.«
»Welches Gold?« fragte Christopher irritiert.
»Diese Berge sind bekannt für ihre Goldvorkommen«, erklärte die junge Swanin. »Die Legende vom Goldenen Vlies, das die Argonauten hier gefunden haben sollen, ist nur eine der Folgen davon. Eine andere ist, daß es seit Jahrhunderten Goldsucher, Abenteurer und Verbrecher hierherzieht, die Jagd auf die
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