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Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin

Titel: Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Prager Leibarzt des Kaisers Rudolf II. Aus seiner Feder stammen einige der bedeutendsten Werke unserer Zunft. Und nun gib acht! In seinen Schriften predigt Majer den Fundort des Steins im Inzest! Ja, Gillian, das ist es, was er von uns, seinen Nachfolgern, verlangt.
    So schreibt er: ›Führe einen Bruder und eine Schwester zusammen, und reiche ihnen den Krug der Liebe, damit sie daraus trinken.‹ Daraus sollte, glaubt man Majers Worten, der Stein entstehen. Noch ein Beispiel? ›Öffne die Brust deiner Mutter mit einer Stahlklinge, wühle in ihren Eingeweiden, und dringe in ihren Schoß ein; genau dort wirst du unsere makellos reine Materie finden.‹ Der Bruder mit der Schwester, der Sohn mit der Mutter – und der Vater mit der erstgeborenen Tochter. Ja, Gillian, so lauten Majers Anweisungen. Er war übrigens nicht der erste, der auf diesen Gedanken kam – wohl aber der einzige, der ihn schriftlich niederlegte. Du könntest es nachprüfen.
    Verstehst Du jetzt? Nestor will mit seiner Tochter ein Kind zeugen! Ein Kind, von dem er annimmt, aus ihm lasse sich der Stein der Weisen gewinnen. Das aurum potabile. Der lapis philosophorum. Unsterblichkeit, Gillian, die absolute Reinheit! Nur erwachsen muß sie sein, erwachsen und unberührt. Denke doch nur, Gillian – Unsterblichkeit!
    Minutenlang kauerte Aura da und starrte auf diese letzten Sätze, getrübt durch einen Tränenschleier und doch klar genug, daß sich die Buchstaben wie Brandzeichen in ihre Gedanken fraßen. Welcher Mensch konnte so etwas über ihren Vater behaupten? Ihren Vater!
    Es wurde allmählich dunkel, und sie mußte sich beeilen, wenn sie den Rest des Schreibens noch im Freien lesen wollte. Dennoch war es schwer, so ungemein schwer, mit den nächsten Abschnitten fortzufahren.
    Nestor glaubt, daß ich tot bin. Ich war nicht derjenige, der dem anderen zuerst den Tod gewünscht hat. Schon vor Jahren setzte Nestor einen Mörder auf mich an. Ich entkam, leicht angeschlagen, und nur einem Wunder verdanke ich, daß ich noch lebe. Immer noch lebe. Ein alter Bekannter hat mich gerettet. Vielleicht ist es ja doch falsch, unser Schicksal vorauszuplanen. Was meinst Du?
    Du siehst, es ist schon lange an der Zeit, Nestor sterben zu sehen. Ich hoffe, es wird Dir Freude bereiten. Und was seine Tochter angeht, Aura, so kümmere Dich auch um sie. Wer weiß, ob Nestors Geduld groß genug war? Wer weiß, ob er nicht schon ein kleines Experiment gewagt hat? Vielleicht trägt sie schon die Frucht ihres Vaters in sich. Töte sie. Und dann kehre zurück, mein Schein im Finstertal, mein Liebling, mein Gillian. Kehre zurück zu mir und sei frei.
    Der Brief endete ohne Unterschrift. Es war zu dunkel, um ihn noch einmal von vorne bis hinten lesen zu können. Aura hätte es wohl ohnehin nicht über sich gebracht. Es ekelte sie vor der Berührung des Papiers, sie ekelte sich vor diesen Worten, dieser Schrift. Sie schleuderte die Seiten von sich und streifte ihre Finger panisch am feuchten Gras ab, immer wieder, bis sich tiefe Furchen durch die Erde zogen. Sie spürte Abscheu, ja. Aber auch eine entsetzliche Gewißheit, daß dies alles die Wahrheit war. Bilder erschienen vor ihrem inneren Auge, Bilder von Nestors Raserei, als er sie und Daniel zum ersten Mal Hand in Hand ertappt hatte. Er hatte Teile seines Laboratoriums zerschlagen, hatte Aura angeschrien, hatte gedroht, Daniel von der Insel zu werfen. Er hatte sich gebärdet wie ein Wahnsinniger. Und warum hatte er sie in dieses Internat geschickt, eine Mädchenschule, zu der Männer keinen Zutritt hatten? Weshalb bis zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag, ausgerechnet bis zur Volljährigkeit? Hatte er befürchtet, sie sei auf der Insel nicht mehr sicher vor Nachstellungen? Hatte er gar Christopher nur auf seine Seite gezogen, damit sie ihn haßte, damit sich so etwas wie bei Daniel gar nicht erst wiederholen würde?
    Großer Gott, sie verabscheute sich selbst für ihre Gedanken! Und doch, eine heimtückische Stimme in ihrem Inneren raunte ihr zu, daß es wahr war. Sie hatte gewußt, was ihr Vater in seinem Laboratorium tat, als einzige im ganzen Schloß. Er hatte ihr vor Jahren davon erzählt, vielleicht weil er gehofft hatte, sie von der Unumgänglichkeit seiner Pläne zu überzeugen.
    Unsterblichkeit. Der Stein der Weisen. Um den Preis einer Nacht mit seiner Tochter! Ihr Vater war ein Wahnsinniger, ohne Zweifel. Und der mysteriöse Verfasser des Briefes war mindestens ebenso verrückt wie er.
    Und Gillian? Er hatte sie am

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