Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
Körper. Hitze stieg in Christopher auf, als er seine Stiefmutter in Friedrichs leidenschaftlicher Umarmung sah, ein leises Stöhnen auf den Lippen, die Augen geschlossen. Wollüstig bog sie ihm ihre Hüften entgegen, empfing seufzend die Stöße seines Unterleibs. Es war trotz des Feuers kühl in der Gruft, doch die Liebenden schienen es nicht zu bemerken. Ihre Kleidung lag achtlos am Boden verstreut. Sie hatten keine Zeit vertan.
Bei jeder hastigen Bewegung der beiden tauchte Christopher unter den Rand der Falltür. Ihm war klar, daß er jetzt ein Wissen besaß, dessen Geheimhaltung seiner Mutter viel bedeuten mußte. Der Tag würde kommen, an dem er es einsetzen konnte, daran hatte er keinen Zweifel. Denn nur wenn er Nestors Stärke und Unabhängigkeit innehatte, konnte er sich seines alchimistischen Erbes als würdig erweisen.
Einige Minuten lang sah er den beiden noch zu, doch seine anfängliche Erregung schlug allmählich in gedämpftere Sachlichkeit um. Er beobachtete ihr heißblütiges Tun, nahm jeden ihrer gemurmelten Liebesschwüre in sich auf, sammelte, verwertete. Und er dachte mit einer gewissen Befriedigung, daß Charlotte von nun an ebenso ihm gehören würde wie ihrem Liebhaber Friedrich – nicht ihr Körper, vielmehr ihre Seele, und jene war für ihn von weit größerem Reiz. Denn wer Macht über Charlotte Institoris besaß, der besaß Macht über das Schloß.
Schließlich pirschte er die Stufen hinab in den Stollen und ließ die Flamme seiner Öllampe von neuem aufflackern. Bald schon war er zurück im Treppenschacht unterhalb der Kapelle, erfüllt von stiller Euphorie.
Und dort enthüllte er das dritte Geheimnis dieses Abends.
Daniel kniete auf den Stufen des Altars und betete mit geschlossenen Augen. Beinahe wäre Christopher aus der Falltür geklettert, ohne ihn zu bemerken. Im letzten Augenblick löschte er die Lampe und zog sich zurück in den Schacht. Nur seiner Vorsicht war es zu verdanken, daß Daniel nicht seinerseits auf ihn aufmerksam wurde. Christopher war die Stufen fast lautlos hinaufgeschlichen, nicht etwa, weil er seinen Stiefbruder in der Kapelle vermutet hatte, sondern vielmehr aus Sorge, eines der Dienstmädchen, die im Schloß lebten, wäre zu einem nächtlichen Gebet hierher gekommen. Daß es nun ausgerechnet Daniel war, der in religiöser Ehrfurcht vor dem Altar kauerte, erstaunte Christopher zutiefst.
Er hatte nicht geahnt, daß Daniel derart gläubig war, doch das war nur der erste Anlaß seines Erstaunens. Der zweite und weitaus wichtigere Grund war die Tatsache, daß Daniel die offene Falltür bemerkt haben mußte und dennoch nicht in den Tunnel hinabgestiegen war.
Das wiederum bedeutete, daß er Kenntnis hatte von dem, was sich auf der Friedhofsinsel abspielte. Ob Charlotte ahnte, daß ihr erster Stiefsohn um ihr nächtliches Treiben wußte?
Wenn Daniel so christlich war, mußte sich Charlotte dann nicht in seinen Augen den furchtbarsten Lastern hingeben, dem sündigen Liebesspiel außerhalb der Ehe? Und da begriff Christopher, daß genau dies der Grund für Daniels Gebet sein mußte. Er flehte Gott um Vergebung für die Sünden seiner Stiefmutter an!
Wie nobel von ihm. dachte Christopher, und im Dunkeln huschte ein Grinsen über seine Züge. Er selbst war von Bruder Markus im christlichen Glauben erzogen worden – und doch, mit Skrupel hatte ihn die allmächtige Präsenz des Herrn noch nie erfüllt.
Lautlos beobachtete er Daniel, der immer noch in seine Fürbitte versunken war. Gemurmelte Worte kamen über seine Lippen, während er die geschlossenen Augen weiterhin gesenkt hielt. Er hatte eine einzelne Kerze auf dem Altar entzündet. Ihr Flackern geisterte über das riesige Holzkreuz an der Stirnseite der Kapelle, flimmerte über die Glasarbeiten der Spitzbogenfenster. Eine zeigte die Jungfrau Maria, über ihr schwebte der Heilige Geist.
Daniels Hemd hing über seinem Hosenbund. Vielleicht war er schon auf dem Weg ins Bett gewesen, als ihn der Drang zum Gebet überkam. Er wandte der Falltür den Rücken zu, aber Christopher erkannte dennoch, wie er plötzlich die gefalteten Hände voneinander löste und sich die Hemdsärmel hochschob.
»Ich bitte Dich um Vergebung, Herr.« Ein tonloses Flüstern, heiser, verzweifelt.
Aus seiner Hosentasche zog Daniel ein winziges Fläschchen. Er legte sein bandagiertes linkes Handgelenk auf die Altarkante und träufelte eine dunkle Flüssigkeit aus der Flasche auf den weißen Verband.
Du Mistkerl! durchzuckte es
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