Die Alchimistin 01 - Die Alchimistin
Türrahmen.
»Großer Gott!« entfuhr es Charlotte. Sie sprang so heftig auf, daß beinahe ihr Stuhl nach hinten kippte.
Sylvettes Haare waren schwarz, fast mit einem Stich ins Blaue. Ihre Locken hatten sich von der Lösung ein wenig geglättet, und wer nicht genau hinblickte, hätte sie für das kleinwüchsige Ebenbild Auras halten können. Sie strahlte glücklich übers ganze Gesicht.
»Schau nur, Mutter«, rief sie aus. »Mein Haar!«
Christopher spürte, wie Stolz in ihm aufstieg. Seine Mixtur hatte nicht nur gewirkt, sie schien auch keine Nebenwirkungen zu haben. Nicht einmal die Haut am Haaransatz war verfärbt. Mehr noch als über seinen Erfolg freute er sich aber für Sylvette, deren Wunsch endlich in Erfüllung gegangen war.
Charlotte hingegen stürmte auf ihre Tochter zu, packte sie an den Schultern und brüllte: »Wer hat dir das angetan? Sag mir sofort, wer dir das angetan hat!«
»Aber, Mutter«, piepste sie erschrocken, »ich –«
»Wer?«
»Christopher hat mir ein Geschenk –«
Charlotte wirbelte aufgebracht herum und starrte Christopher durch das Feuer der Kerzenflammen an. »Wie konntest du das nur tun?« Ihr Gesicht war eine Fratze aus Empörung und Haß.
»Warum regst du dich so auf?« fragte er, erstaunt über ihre heftige Reaktion. »Sylvette hat es sich gewünscht.«
»Sie sieht aus wie Aura. Und wie ich.« Plötzlich schwammen Tränen in ihren Augen. Sie wischte sie mit einer heftigen Handbewegung quer übers Gesicht. »Sylvette war anders, sie war rein.« Charlotte wandte sich wieder zu ihrer Tochter um, bückte sich und drückte sie an sich. »Was hat er nur aus dir gemacht, mein kleiner Engel …«
Und damit ließ sie Sylvette los und stürmte aus dem Zimmer.
Das Mädchen stand da, nun ebenfalls mit Tränen in den Augen, und blickte Charlotte nach, wie sie mit wehendem Kleid den Flur hinabrannte. Dann aber drehte die Kleine sich um, legte den Kopf schräg, strich sich gedankenverloren über ihr rabenschwarzes Haar und schenkte Christopher ein Lächeln, das sogar ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
***
Der Zugang vor dem Altar war geschlossen, aber das war keine Überraschung. Die Bodenplatte lag an ihrem Platz, und als Christopher nach den verborgenen Kerben tastete, um sie hochzuziehen, bemerkte er, daß von unten ein Schloß angebracht worden war. Die Platte ließ sich nicht um einen Fingerbreit bewegen. Friedrich und Charlotte hatten dazugelernt.
Zum dritten Mal, seit Christopher seine Stiefmutter mit seinem Wissen konfrontiert hatte, trafen sich die beiden Liebenden wieder auf der Friedhofsinsel. Bei ihren beiden letzten Stelldicheins hatte Christopher nicht gewagt, ihnen zu folgen – Friedrich war gewarnt, und er war alles andere als ein Schwächling –, doch heute, einen Tag nach Sylvettes Geburtstagsfeier, mußte er einfach erfahren, was sie über ihn sprachen. Denn daß sie über ihn sprachen, daran gab es keinen Zweifel. Der Freiherr war nicht dumm, und es war durchaus möglich, daß ihm ein Weg einfiel, Charlottes unbequemen Ziehsohn in die Schranken zu weisen.
Nachdem sich der geheime Weg als unzugänglich erwiesen hatte, stürmte Christopher aus dem Schloß. Die Nacht war kühl und vom Donnern der Brandung erfüllt. Die weiße Glut der Mondsichel schälte Wolkengiganten aus dem Schwarz des Himmels. Über Christophers Kopf wisperten die Zweige der Zypressen geisterhaft im Seewind. Er beschleunigte seine Schritte, während er durch den dunklen Hain eilte, gejagt von den Schatten der Bäume und seinen eigenen Ängsten. Erst als jenseits der Stämme die Bucht schimmerte, gestattete er sich ein Aufatmen.
Christopher sprang vom Steg in eine der verlassenen Jollen, löste das Tau und steuerte das Boot mit kraftvollen Ruderschlägen hinaus aufs Meer. Schwitzend umrundete er die Ostseite des Schlosses, bis die Friedhofsinsel im Mondschein sichtbar wurde. Aus der Ferne war sie nichts als ein zerklüfteter Felsklotz, doch Christopher wußte, daß der Anschein trog. Den Mittelpunkt des Eilands bildete eine Vertiefung, wie das Innere eines Kraters. Darin lag die Familiengruft der Institoris’, umgeben von uralten Seeräubergräbern.
Er brauchte über eine halbe Stunde, um die hundert Meter bis zur Insel zurückzulegen. Der Wellengang war stark, und mehr als einmal hatte er mit hereinrollenden Brechern zu kämpfen, ohne sich dabei von der Stelle zu bewegen. Schließlich aber erreichte er den zerschundenen Felskamm, sprang an Land und zog das Boot mit aller
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