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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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kehrte zurück.
    Der Druck in seinen Ohren war schmerzhaft, und jetzt, als er sich immer mehr von der Oberfläche und dem Boot entfernte, hörte er tatsächlich den Schlag seines Herzens und das Rauschen des Bluts in seinen Schläfen. Rhythmische, pumpende, viel zu schnelle Geräusche.
    Die Luft ging ihm aus. Aber er würde nicht ersticken, ehe er sie nicht gefunden hatte, das hämmerte er sich wieder und wieder ein. Sein Verstand klammerte sich an einen einzigen Gedanken wie an einen Rettungsring: Ich sterbe nicht. Nicht jetzt. Nicht hier.
    Er wurde langsamer, gegen seinen Willen, als fiele es seinen Ar-men und Beinen hier unten schwerer, seinen Körper vorwärts, ihn abwärts zu treiben. Aber ganz gleichgültig, was die physikalischen Gegebenheiten und Zwänge waren, er würde sie überwinden.
    Sie war seine Mutter, und er würde ihr helfen. Lieber wollte er selbst ertrinken als zuzulassen, dass sie für ihn starb.
    Und dann stießen seine Hände vor – und trafen auf Widerstand!
    Er sah etwas vor sich, etwas Helles mitten in dem trüben Wasser. Ihr Gesicht!
    Er hätte aufschreien mögen vor Erleichterung. Stattdessen ergriff er ihre entsetzlich kalten Hände, wollte sie nach oben ziehen, musste aber feststellen, dass er von ihren Fingern abglitt. Verzweifelt tauchte er tiefer und sah, dass sie fest hing. Erst glaubte er, ihr Bein steckte im Schlamm fest. Dann aber erkannte er vage die Form eines zweiten Menschen, halb im Boden eingesunken und offenbar tot. Der Assassine klammerte sich an ihrem Bein fest.
    Aus Auras Mund kamen keine Luftblasen mehr. Aber ihre Augen… Ihre Augen bewegten sich! Sie sahen ihn!
    Ich bin hier, dachte er, als könnte er ihr mit seinen Gedanken Mut machen. Gib nicht auf! Ich bin bei dir!
    Er packte die Arme des toten Assassinen, zog und zerrte daran, aber es war, als versuche er, mit bloßen Händen den Anker eines Ozeanriesen vom Meeresgrund zu stemmen. Die Muskeln des Leichnams waren verkrampft – von der Kälte, der Todesangst –, und sie gaben keinen Millimeter nach. Aura saß fest.
    Ihre Hand krallte sich um seinen Oberarm, ließ aber gleich wieder los. Als er aufblickte und in ihr Gesicht sah, ein verschwommenes Oval, aus dem ihn ihre Augen mit gespenstischer Schärfe anblickten, wusste er, was sie ihm mitteilen wollte.
    Lass es! sagte ihr Blick. Rette dich selbst!
    Nein. Niemals.
    Und dann war da plötzlich noch jemand.
    Tess wartete nicht, bis Cristóbal das Boot zum Stehen gebracht hatte. Als er den Motor drosselte und sie für eine Sekunde aus den Augen ließ, stieß sie sich ab und hechtete über die Reling. Sie folgte den Luftblasen, die von unten aufstiegen, und bald entdeckte sie das Knäuel aus drei Gestalten, das am Grund des Sees miteinander verschlungen war wie Arme einer bizarren Wasserpflanze. Sie konnte nicht viel sehen, eher Bewegungen als echte Umrisse, doch je näher sie kam, desto deutlicher erkannte sie den verzweifelten Kampf, der dort geführt wurde.
    Sie kam Gian zur Hilfe, zerrte gemeinsam mit ihm an den Armen des Toten, doch es half nichts. Sie bedeutete Gian, von den beiden abzulassen, nach oben zu schwimmen, um Luft zu holen – doch er schüttelte den Kopf.
    Aura durfte nicht sterben. Sie konnten jetzt nicht aufgeben.
    Tess zog weiter an dem toten Assassinen, aber seine Arme waren vollkommen starr. Sie blickte in Auras Gesicht und sah voller Entsetzen, dass ihre Lider jetzt geschlossen waren. Ihr Mund stand einen schmalen Spalt weit offen, und längst drang keine Luft mehr zwischen ihren Lippen hervor.
    Sie ist bewusstlos, durchfuhr es sie. Aura stirbt!
    Tess versuchte Gian ein Handzeichen zu geben, doch er reagierte nicht. Aus seinem Zerren an dem Toten war längst ein verzweifeltes Klammern geworden, kraftlos, aber noch immer nicht bereit, aufzugeben und das eigene Leben zu retten.
    Tess traf eine Entscheidung.
    Sie ließ von dem Assassinen ab, packte Gian am rechten Oberarm und zog mit all ihrer verbliebenen Kraft. Es gelang ihr, ihn mit einem Ruck von dem Leichnam zu lösen. Er hatte nicht mehr die Kraft, erneut danach zu greifen. Sie gab ihm einen Stoß, und dann sah sie ihn aufsteigen, dem fahlen Lichtschein an der Oberfläche entgegen.
    Sie selbst wandte sich, unter Aufbietung ihrer letzten Sauerstoffreserven, noch einmal Aura zu, blickte in das helle Gesicht inmitten des schwarzen Kranzes aus wogendem Haar, strich ihr ein letztes Mal über die kalte, weiße Wange – und stieß sich ab.
    Sie schoss nach oben, wusste, dass sie nicht mehr

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