Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
halbherziger und seine Paraden verzweifelter wurden. Während Karisma Konstantin zur Hilfe kam, trieb Gillian den Assassinen mit schnellen Hieben gegen eine Wand, führte eine Finte in Richtung seiner Hüfte, riss die Klinge dann steil nach oben und rammte sie zwischen die Rippen des Jungen. Der Schrei des Sterbenden wurde von seiner Gesichtsmaske gedämpft. Mit dem Rücken an der Wand rutschte er herab und blieb sitzen wie eine Puppe, die ein Kind dort platziert hatte, Arme und Beine abgespreizt, den Kopf zur Seite gekippt.
Als Gillian sich umwandte, wischte Karisma gerade ihre Klinge am Hemd eines toten Assassinen ab. Konstantin lehnte mit rasselndem Atem an der Wand, gab sich aber alle Mühe, aufrecht zu stehen.
Gillian trat zu ihm und reichte ihm die Hand.
Als Cristóbal die Leine der Jolle einholte, hatten sich Tess und Gian längst davon gelöst und waren unter dem Motorboot hindurch ans Ufer geschwommen.
Hinter einem Felsbrocken wagten sie, sich aufzurichten, Tess von neuer, kalter Kraft erfüllt, Gian fast willenlos, so als folge er nur ihren stummen Aufforderungen. Sie blieben hinter dem Felsen in Deckung, und Tess beobachtete, wie Cristóbal in die Jolle stieg und zur Insel ruderte.
Sie fragte sich, was er ohne ihre Führung hier wollte. Fraglos hatte er das Eiland mehr als einmal absuchen lassen, aber bislang hatte er nichts entdeckt.
Und doch musste ihn irgendetwas zu der Überzeugung bringen, auch auf eigene Faust fündig zu werden, jetzt, da er glaubte, endlich Gewissheit zu haben. Etwas war auf dieser Insel, das ihn nicht einen Moment lang an Gians Worten hatte zweifeln lassen. Hatte er sich derart in seinen Wahn hineingesteigert, dass er nicht mehr in der La-ge war, logisch zu denken? Ihre innere Stimme flüsterte Tess zu, dass da noch mehr sein musste.
Mit der Pistole in der Hand ging Cristóbal an Land, etwa zehn Meter von ihnen entfernt. Noch einmal schaute er zurück über den See. Die Oberfläche lag glatt unter dem sonnendurchglühten Himmel, nirgends waren Menschen im Wasser zu sehen.
Die Gewissheit, dass Aura ertrunken war, erschütterte Tess.
Einen Augenblick lang bekam sie keine Luft, und diesmal war es Gian, der eine Hand auf die ihre legte und sie sanft streichelte. Er brachte kein Wort heraus, nicht einmal ein Flüstern, und ihr ging es genauso. Und doch war ein Trost in dieser Berührung, in ihrer stillen, gemeinsamen Trauer.
Sie mussten weitermachen, mussten irgendwie überleben und, da sie nun schon einmal hier waren, am besten diesem Wahnsinnigen das Handwerk legen, so wie Aura es getan hätte, wäre sie noch bei ihnen.
Aura war so alt wie Gian gewesen, als sie zum ersten Mal zwischen die Fronten der verfeindeten Alchimisten geraten war. Sie hat-te die Herausforderung angenommen und sich niemals geschlagen gegeben, nicht einmal vorhin, als sie Tess und Gian mit ihrem Leben eine Möglichkeit zur Flucht erkauft hatte.
Sie durften das, was sie ihnen geschenkt hatte, jetzt nicht gedankenlos aufs Spiel setzen.
Andererseits – war es nicht ihre Pflicht, die Sache zu Ende zu brin-gen?
Gian dachte offenbar genauso wie sie. Er rieb sich die roten Au-gen, atmete tief durch und strich mit einer zittrigen Bewegung sein nasses Haar zurück. Etwas geschah mit ihm, das sie nicht einschätzen konnte – und doch war sie dankbar dafür. Eine neue Entschlossenheit, ein Anflug von Kraft, die er Gott weiß woher nahm.
Sie wechselten einen knappen Blick, dann kletterten sie über die Felsen und folgten Cristóbal.
Die Insel war nicht groß. Hohe, sandfarbene Steinpfähle standen aneinander gelehnt wie eine Ansammlung brüchig gewordener Säulen, deren äußerer Ring einen Meter über dem Wasser endete. Zur Mitte hin aber ragten die schmalen Steinblöcke immer höher hinauf und erreichten im Zentrum eine Höhe von sechs oder sieben Metern über der Oberfläche des Sees. Wo der Wind die Spalten und Winkel mit Erdreich gefüllt hatte, wuchsen ein paar karge Sträucher. Die meisten Felsen aber waren kahl und von der Sonne ausgeglüht. An vielen Stellen war das Gestein so brüchig, dass Tess und Gian bei jedem Schritt Acht geben mussten, nicht abzurutschen und durch das Geräusch Cristóbal auf sich aufmerksam zu machen.
Der Graf folgte einem Einschnitt, der bogenförmig zwischen den Felsen verlief. Oftmals waren Ecken und Kanten behauen worden, und an einer Stelle hatte man vor langer Zeit eine kleinen Steg gebaut, der über einen wassergefüllten Spalt führte.
Tess und Gian hielten sich
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