Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche
kraulen, entdeckte aber keine Spur von Aura und den beiden Assassinen. Das Zerren in ihrer Brust fühlte sich an, als würde es ihr jeden Moment das Herz zerreißen. Sie konnte kaum atmen, so als versänke sie selbst in der Tiefe, unfähig Luft zu holen.
Auras Hände! dachte sie immer wieder. Sie sind gefesselt!
Gian musste die Stelle jetzt fast erreicht haben, an der seine Mutter mit den Assassinen im Wasser verschwunden war.
Cristóbal rief etwas zu ihr nach hinten, aber die Worte gingen im Lärm des Motors unter. Er riss das Steuer herum. Das Boot legte sich in eine gefährlich enge Kurve. Tess geriet ins Schwanken, fiel hin und rappelte sich gleich wieder auf.
Mit höllischer Geschwindigkeit rasten sie zurück Richtung Landzunge.
Tess löste sich aus ihrer Starre und rannte an der Reling entlang nach vorne, vorbei an der überdachten Steuerkabine und dem fluchenden Cristóbal.
Hundert Meter vor ihnen hörte Gian auf zu kraulen, schaute sich um, sah nichts als glattes Wasser – und tauchte unter.
Tess schrie seinen Namen. Als sie zurück zu Cristóbal blickte, sah sie, dass er das Steuer nur noch mit der linken Hand hielt. Mit der rechten zog er seine Pistole.
Die Stille war von einem dumpfen Gurgeln durchdrungen. Mit einer Ruhe, die so gar nicht an diesen Ort und in diesen Augenblick gehörte, registrierte Aura, wie ihr strampelnder Fuß einem Assassinen das Nasenbein brach. Schlagartig löste sich sein Gewicht von ihrem Bein, und plötzlich schmeckte das Wasser, das in ihren Mund drang, nach Blut. Der See war trüb, ihre Sicht reichte kaum weiter als bis zu ihren Füßen. Der zweite Assassine war über ihr, und ehe er sich wehren konnte, hatte sie seinen Fuß zwischen ihren Unterarmen eingeklemmt und zerrte ihn nach unten. Sein Stiefel verhakte sich an dem Strick, mit dem man ihre Handgelenke gefesselt hatte, und während sie selbst sich reglos in die Tiefe sinken ließ, zerrte sie den strampelnden Assassinen mit sich, tiefer hinab ins Dunkel.
Der See war an dieser Stelle keineswegs so seicht, wie sie gedacht hatte. Immer weiter nach unten sank sie und zog den Assassinen mit sich ins Verderben. Er versuchte verzweifelt, mit Schwimmstößen gegenzusteuern, doch Panik nahm ihm die Kontrolle über seine Bewegungen. Seine Kleidung und die Stiefel füllten sich mit Wasser. Seine Arme griffen ins Leere, wirbelten immer hilfloser um-her wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln.
Auras Oberkörper fühlte sich an, als würde er jeden Augenblick zerplatzen, aber noch hatte sie sich weit genug unter Kontrolle, dass sie den Assassinen nicht losließ. Ihr Wille, ihn hinunterzuziehen, war so verbissen wie die ferne Hoffnung, Gian und Tess würden wissen, was zu tun sei.
Der Moment, in dem ihr Denken abschaltete wie eine defekte Maschine, kam abrupt und mit der Kraft eines Faustschlags. Sie begann zu strampeln. Sie verschwendete keinen Gedanken mehr an den Assassinen, dessen Stiefel über ihre Schläfe schrammte, und der plötzlich schneller sank als sie selbst, an ihr vorüber – und sich in einem letzten Reflex mit beiden Händen an ihren linken Unterschenkel klammerte.
Schlagartig waren die Rollen vertauscht. Jetzt zog er sie hinab, sterbend, von letzten, verzweifelten Krämpfen geschüttelt. Der zweite Assassine, der, dessen Blut sie geschmeckt hatte, war nicht mehr zu sehen, vielleicht bewusstlos von ihrem Tritt und längst ertrunken oder auch aufgetaucht. Es spielte keine Rolle mehr.
Sie sank.
Tiefer. Immer tiefer.
Und dann, wie der Sturz in ein trügerisches Kissen, stieß sie auf Grund, schlammig und weich und dunkel wie der Tod. Der leblose Assassine sank unter ihr in den Schlick, und noch immer klammerten sich seine Hände um ihr Bein wie Stahlzwingen.
Es ging nicht. Sie konnte sich nicht von ihm lösen.
Das Gurgeln in ihren Ohren war ihr eigenes, und der Schwärm von Luftblasen, der wie Fingerspitzen über ihr Gesicht tastete, strömte aus ihrer eigenen Lunge, Ameisen auf der Flucht aus ihrem brennenden Bau.
Instinktiv warf sie den Kopf in den Nacken – und dann sah sie Hände, die von oben herab auf sie zustießen.
Seine Bewegungen waren Reflexe, seine Sicht ein braunschwarzes Durcheinander aus Eindrücken, die vielleicht echte For-men waren, vielleicht auch nur Gebilde seiner Fantasie und getäuschten Sinne.
Gian stieß tiefer hinab. Alles, was er hörte, war ein dumpfes Wummern. Mein Herzschlag, dachte er, ehe er realisierte, dass es die Geräusche des Motors waren. Das Boot hatte gedreht und
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