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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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auf den Felsen oberhalb des Weges, ein kleines Stück über Cristóbals Kopfhöhe. Falls er sich abrupt umdrehte, bestand Gefahr, dass er sie entdeckte; unmöglich, so schnell zwischen den unwegsamen Felskronen abzutauchen. Doch der Graf eilte mit großen Schritten vorwärts, blickte nur einmal über seine Schulter zurück in Richtung Ufer, nicht aber hinauf zu den Felskämmen auf beiden Seiten des Einschnitts. In der linken Hand trug er eine Lampe, in der rechten die Pistole.
    Der Einschnitt endete vor einer Felswand, in die ein halbrundes Tor aus dunklem Holz eingelassen war.
    »Siehst du das Fallgitter?«, flüsterte Gian. Seine Stimme klang belegt und rau.
    Tess nickte. »Es ist hochgezogen.«
    »Was immer dort drinnen aufbewahrt wird, es kann nicht allzu wertvoll sein, sonst wäre das Gitter unten.«
    »Oder es gibt längst nichts mehr zu holen.«
    Er sah sie verwundert an, zuckte dann nur mit den Schultern und schaute wieder hinab auf Cristóbal. Der Großmeister legte beide Hände an das Tor, stemmte sich dagegen und schnaubte zufrieden, als der Flügel ächzend nach innen schwang. Sie konnten jetzt erkennen, wie dick das Holz war. Tess hatte noch nie eine so stabile Tür gesehen.
    Cristóbal verschwand im Inneren. Die Lampe flammte auf, und ockerfarbener Lichtschein verdrängte die Dunkelheit hinter dem Tor.
    »Und nun?«, fragte Gian.
    »Na, was wohl?«
    »Ja«, sagte er grimmig. »Du hast Recht.«
    Tess band ihr langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Dann sprangen sie vom Felsen hinab auf den Weg und näherten sich leise dem Tor. Vorsichtig spähten sie durch den Spalt.
    Nach unten führende Steinstufen verschwanden hinter einem Felsblock, der ihnen die Sicht auf Cristóbal verwehrte, aber sie sahen den Schein seiner Laterne.
    Sie bewegten sich so lautlos wie möglich. Trotzdem ließ sich nicht verhindern, dass ihre Sohlen über die Steinstufen schabten und das Echo die Geräusche verstärkte. Doch das Licht entfernte sich weiter nach unten, Cristóbal hatte sie nicht bemerkt.
    Die Höhle entpuppte sich als langer Schlauch, der gewunden bergab führte und dann in eine weite Grotte mündete. In die Wände dieser unterirdischen Halle waren tiefe Fächer eingearbeitet, fast wie Regale. Tess glaubte erst, es handele sich um eine gewaltige Gruft, in der einst die Anhänger des Tempels aufgebahrt worden waren. Dann aber wurde ihr klar, dass nirgends sterbliche Überreste lagen; auch der Geruch war ein anderer als auf der Friedhofsinsel von Schloss Institoris.
    Die Vertiefungen in den Wänden waren leer.
    Cristóbal verharrte einen Moment, ließ das Licht der Lampe über die Fächer geistern, dann setzte er seinen Weg fort. Er näherte sich einer runden Öffnung im Boden, die von einem geschmiedeten Geländer umgeben war. Über eine enge Wendeltreppe stieg er abwärts und verschwand abermals aus dem Blickfeld der beiden. Mit ihm entfernte sich auch das Licht, und sie beeilten sich, durch die dunkle Grotte zum Schacht zu laufen, ehe der Schein der Lampe gänzlich verblasste.
    Vorsichtig beugten sie sich über das Geländer und blickten nach unten. Die Stufen der Wendeltreppe waren aus Metall und endeten schon nach wenigen Windungen auf dem Felsboden einer tiefer liegenden Höhle.
    Cristóbals Schritte auf der Treppe waren deutlich zu hören gewesen, ein metallisches Stakkato, und beiden war klar, dass ihre eigenen genauso laut durch die Höhle schallen würden.
    Gian gab Tess ein stummes Handzeichen, aber sie verstand nicht, was er meinte. Erst als er seine Stiefel abstreifte und einen Fuß geräuschlos auf die oberste Stufe setzte, begriff sie. Am Ende der Treppe schlüpften sie wieder in ihre Stiefel und folgten Cristóbals Lichtschein einen kurzen Felstunnel hinab. Dort entdeckten sie eine eisenbeschlagene Tür, deren oberes Ende spitz zulief. Sie stand weit offen.
    Sie kamen bis zur Hälfte des Tunnels, als Cristóbal in den Türrahmen trat und die Waffe auf sie richtete.
    »Gut, dass ihr hier seid«, sagte er.
    Tess erstarrte, aber Gian stieß einen wütenden Schrei aus und stürmte auf den Grafen zu, ungeachtet der Pistolenmündung, die sofort in seine Richtung schwenkte.
    »Tess«, brüllte Gian, ohne sich umzudrehen, »lauf weg!«
    Sie aber stand da wie gelähmt.
    Ein Schuss peitschte, schlug eine tiefe Kerbe in den Boden vor Gians Füßen und hielt ihn einen Augenblick lang auf – dann aber rannte er auch schon weiter, das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt, die Hände zu Fäusten

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