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Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche

Titel: Die Alchimistin - 02 - Die Unsterbliche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sind ihnen zu verlässlich, zu gleichförmig in ihrem wiederkehrenden Naturell. Frühjahr und Herbst hingegen sind unberechenbar, bieten Abwechslung, die man hier so nötig hat; und wenn es nur das Wetter ist, das wechselt.
    Andorra im August. Und Aura in Andorra.
    In Toulouse hatte sie einen Zug genommen, der sie nach Ax-les-Thermes gebracht hatte, einem Städtchen unweit des unsichtbaren Dreiecks, an dem sich die Grenzen Frankreichs, Spaniens und Andorras treffen. Sie hatte ein Pferd mieten wollen, wohl oder übel, doch zu ihrer Überraschung fand sie ein Postautomobil, das von Ax-les-Thermes aus den Weg über den Pass nach Andorra la Vella nahm.
    Die Hauptstadt eines Staates – das klang nach Regierungsgebäuden und Palästen, nach ausgelassenem Nachtleben und dem parfümierten Duft der Moderne. Andorra la Vella jedoch erwies sich als Ansammlung graubrauner Häuser im primitiven Baustil der Region: Mauern aus grobem Feldstein, unverputzt, die Fugen mit trockener Erde zugestopft. Vom Fahrer des Automobils erfuhr sie, dass hier weniger als fünfhundert Menschen lebten, kaum mehr als in dem kleinen Dorf an der Küste, aus dem Schloss Institoris seine Lebensmittel und Bediensteten bezog. Sie war kaum aus dem Fahrzeug gestiegen, als sie von einer Horde Kinder umringt war, die sie um Geld und Süßigkeiten anbettelten.
    Immerhin aber war die Ortschaft Hauptstadt genug, dass Aura hier ein Pferd leihen konnte. Sie verstaute ihre Sachen in den Satteltaschen und ließ den leeren Koffer zurück. Im Galopp setzte sie dann den Weg nach Soldeu fort, einem Bergdorf im Norden Andorras. Es wurde Abend, als sie das Pferd am Rande einer Passstraße anhalten ließ und die Aussicht über die Bergwelt im Dämmerlicht genoss. Es war der erste Augenblick der Ruhe, den sie sich seit Toulouse gönnte, und sie wünschte sich, sie hätte das Panorama länger genießen können, das Smaragdgrün der Wiesen und das Blau eines schimmernden Karstsees, weit unten in der Tiefe. Doch die Anspannung trieb sie weiter. Sie wollte Soldeu vor Sonnenuntergang erreichen und nach Möglichkeit noch heute zum Kastell aufbrechen. Sie wuss-te, das war vorschnell und gegen jede Vernunft, doch nun, da sie es bis hierher geschafft hatte, brannte sie darauf, die Burg endlich mit eigenen Augen zu sehen.
    Falls sie verfolgt wurde, so hatte sie auf den Bahnhöfen und einsamen Straßen nichts davon bemerkt. Möglich, dass ihr Verfolger weit genug zurückblieb, um nicht aufzufallen, immer hinter der letzten Biegung, der letzten Bergkuppe. Aber aus irgendeinem Grund fürchtete sie ihn von Stunde zu Stunde weniger, vielleicht weil ihr klar geworden war, wie unausweichlich die Konfrontation mit ihm war.
    In Toulouse hatte sie sich von den Zwillingen verabschiedet. Die beiden nahmen eine andere Route, über Tarbes und Biarritz. Es hieß, dort sei die Grenze zum neutralen Spanien noch durchlässig. Man schätzte dort seit Jahren die reichen Reisenden aus Frankreich, und die Furcht vor einem Flüchtlingsstrom aus den Kriegsländern war noch gering. Die Schwestern wollten weiter Richtung Westen. In ein paar Tagen würden sie Santiago de Compostela erreichen, im Nordwesten Spaniens.
    Aura beneidete die beiden um die Gelassenheit, die sie ausstrahlten. Sie war selten so ausgeglichenen Menschen begegnet, zumal noch während einer Flucht, bei der es vielleicht um ihr Leben, ganz sicher aber um ihre Freiheit ging. Dabei war ihre Ruhe nicht fatalistisch, ihr Optimismus nicht zweckmäßig. Es schien vielmehr, als wüssten sie genau, dass nichts und niemand ihnen etwas anhaben konnte.
    Bis kurz vor Toulouse hatten Salome und Lucrecia versucht, Aura zu einer weiteren Séance zu überreden. Sie hatte sich nicht darauf eingelassen. Die Bilder waren keine Hilfe gewesen, sie hatten sie nur noch mehr verwirrt. Im Grunde war sie nicht einmal überzeugt, dass es sich tatsächlich um Visionen im herkömmlichen Sinne handelte. Erinnerungen, sicher, vielleicht auch eine Art Déjà-vu-Erlebnis. Aber im Augenblick hatte sie genug von schwarzen Göttinnen und tragischen Helden.
    Erst das Kastell in den Pyrenäen. Eines nach dem anderen.
    Es war fast dunkel, als sie Soldeu erreichte, eine Ortschaft aus niedrigen Häusern, die sich wie totenstarre Tiere an die Berge krallten. Die Wege waren menschenleer, es gab niemanden, den sie nach der Richtung hätte fragen können.
    Schließlich ritt sie zur Kirche. Die Glocke hing in einem Gittergeflecht, das wie ein Vogelkäfig oben auf dem Kirchturm thronte,

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