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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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vernichtet.«
    Gillian erzählte ihr von seiner Vermutung. Sie lehnte mit dem Rücken am hölzernen Kopfende des Bettes und ließ ihn reden. Und während sie zuhörte, verwandelten sich ihre Zweifel allmählich in etwas, das einer Überzeugung zumindest nahekam.
    Lysander war noch am Leben, behauptete er, wahrscheinlich mit Hilfe des Gilgameschkrauts von Christophers Grab. Er hatte die Reichtümer eingesammelt, die Morgantus und er vor Jahrzehnten über Banken in halb Europa verteilt hatten, und seine alte Macht zurückgewonnen, nicht mehr in Wien, sondern hier in Prag.
    »Ich kenne die Stadt noch von früher«, sagte Gillian, »aus meiner Zeit vor Wien. Und Lysander kennt sie auch.«
    Gillian hatte ihr nie erzählt, auf welche Weise er und sein ehemaliger Auftraggeber einander zum ersten Mal begegnet waren. Aura war stets davon ausgegangen, dass das in Österreich geschehen war. Doch auch diesmal behielt er jenen Teil seines Lebens unter Verschluss.
    »Nachdem ich heute Mittag mit dem Zug angekommen bin«, fuhr er fort, »war es nicht allzu schwer, jemanden aufzutreiben, den ich von früher kannte. Er hat mir von einem mysteriösen
neuen Unterweltboss erzählt, der vor ein paar Jahren hier aufgetaucht ist und sich mit einer Menge Geld großen Einfluss erkauft hat. Genauso haben es Morgantus und Lysander damals in Wien gemacht. Er sei sehr alt, ein Greis, behaupten die wenigen, die ihm begegnet sind. Keiner kennt seinen wahren Namen, aber sie nennen ihn Graugast, weil alle davon ausgehen, dass er nicht mehr lange zu leben hat und seine Zeit in Prag begrenzt ist.«
    »Nehmen wir mal an«, sagte sie, »das alles sei die Wahrheit. Lysander lebt noch. Vielleicht ist er wirklich in der Stadt und hat mir seine Schläger auf den Hals gehetzt, damit sie mich zu ihm bringen. Aber selbst wenn er noch etwas von dem Kraut besäße, weshalb sollte er es uns geben, um damit Gian zu retten?« Sie hielt einen Augenblick inne. »Und woher wusstest du, dass sie es heute Nacht auf mich abgesehen hatten?«
    »Nachdem ich erfahren hatte, wo dieser ominöse Unterweltkönig residiert, hab ich mir das Motorrad besorgt und bin hingefahren. Ich bin dem Lieferwagen gefolgt, als sie von dort aufgebrochen sind, weil ich gehofft hatte, Lysander wäre vielleicht dabei und ich bekäme ihn zu sehen. Irgendwer muss dich beschattet haben, denn sie wussten genau, wo sie dich finden würden. Ich hatte keine Ahnung, wem die Aktion galt, bis sie mit dir aus dem Variete kamen und dich in den Wagen geworfen haben.«
    »Aber was will er von mir? Wozu all dieser Aufwand? Deine Entführung, das Sanatorium, der Hinweis für Gian, dann die Spur nach Prag – es wäre doch viel einfacher gewesen, mich in London oder im Schloss abzufangen.«
    »Vielleicht wollte er, dass du dich hier in Prag frei bewegst und von dir aus Kontakt zu jemandem aufnimmst, dem sein eigentliches Interesse gilt.«
    »Du meinst ... er hat mich als Lockvogel benutzt?«
    »Genauso wie er’s mit mir gemacht hat, um dich zu ködern.
Es muss jemand sein, der einer Unsterblichen vertraut, aber niemals einem greisen Gangsterboss. Jemand, der etwas besitzt oder etwas weiß, an das man nur durch Vertrauen herankommt und nicht mit Gewalt.«
    »Sophia«, flüsterte sie.
    »Wer ist das?«
    Die Kaskadens hatten sie gewarnt – und waren nun tot. Hatte Lysander die Zwillinge aus dem Weg räumen lassen, um zu verhindern, dass Auras Beziehung zu Sophia in Gefahr geriet?
    »Sophia Luminique ... oder Octavian«, sagte sie. »Wie auch immer sie wirklich heißen mag. Sie ist unsterblich wie wir, aber sehr viel älter. Das Variete gehört ihr.«
    »Was könnte er von ihr wollen?«
    Aura sprang auf und griff nach ihrer nassen Hose. »Das fragen wir sie am besten selbst.«

KAPITEL 42
    Eine Turmuhr am Kleinseitner Ring schlug elf, als Aura und Gillian durch ein aufgestemmtes Fenster ins Palais Octavian einbrachen. Sie war überzeugt, dass der Schlüssel zu Sophias Geheimnissen – und damit zu Lysanders Plänen – hier verborgen war.
    Bevor Aura das Fenster wieder zurück in den Rahmen drückte, blickte sie noch einmal nach draußen. Ein Hund lief allein durch die unbeleuchtete Gasse, die an die Rückseite des Gemäuers grenzte; neugierig roch er an dem Gitter, das Gillian kurzerhand aus dem morschen Gestein gehebelt und im Schatten abgelegt hatte. Der Streuner gehörte nicht zum Haus und ignorierte Auras Gesicht am Fenster. Nachdem er um die nächste Ecke gebogen war, rührte sich nichts mehr. Niemand

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