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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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sich auf den Weg.
    Ihre Erkundung des Palais Octavian führte sie durch eine Reihe leerer Räume, verlassener Korridore und Treppenfluchten mit verstaubten Geländern. Fast alle Zimmer sahen aus, als wären sie seit Jahrzehnten nicht mehr betreten worden. Aura hatte Möbel unter weißen Laken erwartet, wie in so vielen ausgestorbenen Gebäuden, die sie im Lauf der Jahre gesehen hatte. Aber hier waren die Zimmer leer, abgesehen von vergessenen Bilderrahmen, die sich die Wände mit Wasserflecken und verschimmelten Tapeten teilten. Hatte die Familie das überzählige Inventar verkauft, nachdem Valeria Octavian sie mit dem Größenwahn ihrer Empyreum-Passage fast in den Ruin getrieben hatte?
    Sie waren bereits einige Minuten unterwegs, als sie zum ersten Mal auf die rätselhafte Dunkelheit stießen. Gillian blieb stehen und richtete den Schein der Lampe in einen offenen Treppenschacht, der seitlich in den Korridor mündete. Es sah aus, als wäre er bis zur obersten Stufe mit schwarzem Öl gefüllt.
    Er fluchte zwischen zusammengebissenen Zähnen.
    Aura trat neben ihn und kämpfte gegen den Drang an, ihn von der Kante fortzuziehen. Setzten sich diese Schattennester auch in den Menschen fest, die in diesen Mauern lebten?
    Er richtete den Schein der Lampe auf die dunkle Fläche. »Hast du so was schon mal gesehen? Oder irgendwas darüber gelesen?«
    »Noch nie.«
    »Und diese Leute wissen selbst nicht, was die Ursache dafür ist?«
    »Falls sie es wissen, reden sie nicht darüber.«
    Gillian ging an der Treppenkante in die Hocke und senkte
langsam die Lampe in die Finsternis. Ihr Licht wurde geschluckt, als hätte er sie in Teer getaucht. Seine Hand berührte die Oberfläche, er zögerte kurz, stieß sie dann aber tiefer in die Schwärze.
    »Man spürt nichts«, sagte Aura und wurde trotzdem immer nervöser, je länger er den Arm in die Dunkelheit hielt. »Ich hab’s auch ausprobiert.«
    »Was passiert, wenn ich da runtersteige?«
    »Dann halte ich dich an den Haaren fest. Ich hab dich einmal verloren und werde kein zweites Mal zusehen, wie du dich in Luft auflöst.«
    Mit schattenhaftem Lächeln erhob er sich und sie setzten ihren Weg fort, den Gang hinunter, um eine Ecke und vorbei an weiteren geschlossenen Türen. Alle Zimmer, in die sie hineinsahen, waren ausgeräumt. Wenn die Türflügel aufschwangen, erzeugten sie Wirbel in fingerdicken Staubschichten auf dem Boden.
    »Und du bist sicher, dass das Haus bewohnt ist?«, fragte er nach einem Dutzend verlassener Räume.
    »Wir sind noch immer im hinteren Teil. Vorne sieht es anders aus.« Aber auch ihr war schon der flüchtige Gedanke gekommen, dass das Abendessen mit den Octavians eine Inszenierung gewesen sein könnte, die nur für sie in einem leer stehenden Palais stattgefunden hatte.
    Zwei Korridore weiter wurden die Gänge wohnlicher. Es gab elektrisches Licht, abgetretene Läufer und hier und da ein paar Stillleben in Öl an den Wänden. Einige der Türen, deren Messingklinken sie vorsichtig hinunterdrückten, waren abgeschlossen. Hinter einer anderen fanden sie ein altes Jagdzimmer voller ausgestopfter Tiere. Es roch, als wäre seit Jahren nicht mehr gelüftet worden.
    Gelegentlich blieb ihnen keine andere Wahl, als weitere Treppen hinaufzusteigen, weil die Gänge zu knarrenden Stiegen
wurden und es nur den Weg nach oben gab. Meist waren es nur wenige Stufen, sodass Aura und Gillian bald nicht mehr wussten, ob sie sich im ersten, zweiten oder gar dritten Stock befanden; manchmal schien es sich um niedrige Zwischenetagen zu handeln, deren Existenz keinen Sinn ergab, wenn man das Palais von außen kannte.
    Immer wieder entdeckten sie weitere Schattenflecken, gelegentlich auch oben an der Decke, wo sie sich in den Winkeln festgesetzt hatten wie kohlschwarze Spinnweben.
    »Vorsicht!«, wisperte Aura, als sie am Ende eines Korridors einen Lichtschein wahrnahm. Gillian schaltete seine Lampe aus und gemeinsam pressten sie sich in eine Türnische; kein allzu brillantes Versteck, aber besser, als mitten im Gang zu stehen und auf ihre Entdeckung zu warten.
    Eine Gestalt bog um die Ecke, in der rechten Hand eine Petroleumlampe. Aura erkannte den Hausdiener Jakub. Mit ernster Miene blickte er den Flur herunter und schien noch zu zögern, ob er diesen Weg nehmen sollte. Vielleicht hatte er das Knarren der Treppen gehört.
    »Galathée?«, rief er im Flüsterton, so als wagte er nicht, den Namen lauter auszusprechen. »Galathée, bist du hier?«
    Aura und Gillian tauschten

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