Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Fremde nahm sich einen nach dem anderen vor, schnitt ihnen in Sekunden mit einem Stilett die Kehlen durch, bis der Gestank des Blutes Aura zu überwältigen drohte.
    Sie hatte kaum realisiert, was um sie herum geschah, als es auch schon vorüber war. Eine Hand packte sie am Arm und wollte sie rückwärts zwischen den Leichen zur Hecktür ziehen. Sie wehrte sich, halb blind vom fremden Blut in ihren Augen. Ihre Füße versuchten Halt zu finden, rutschten aber immer
wieder weg. Der Gestank, vorher schon kaum zu ertragen, war jetzt bestialisch.
    Der Angreifer half ihr mit beiden Armen aus dem Pulk der Toten und drehte sie zu sich um.
    Da sah sie ihn zum ersten Mal im Licht.
    Gillian zog sie an sich und schob ihren Knebel nach unten, kümmerte sich nicht um das Blut und den Gestank, und weil sie noch immer mit den verdammten Handschellen gefesselt war, konnte sie die Umarmung nicht mal erwidern. Aber das machte nichts. Für einen Augenblick spielte es keine Rolle, dass sie auf offener Straße neben einem Haufen Leichen standen. An den Fenstern musste es Zeugen geben. Die Polizei war sicher schon alarmiert. Sie mussten weg und zwar schnell.
    Und dennoch blieben sie stehen, ihr Kopf lag an seiner Brust, und er presste sie an sich, ohne ein überflüssiges Wort.
    Das Motorrad lag mitten auf der Straße. Noch wagte sich niemand aus den Häusern. Aus dem offenen Lieferwagen triefte Blut und zeichnete das Muster des Pflasters nach.
    »Ich bring dich von hier weg«, sagte er schließlich.
    Er trug eine dunkle Hose und ein schwarzes Hemd. Seine rechte Tasche war ausgebeult; darin musste die Pistole stecken, mit der er den Fahrer erschossen hatte.
    Benommen setzte sie sich hinten auf das Motorrad, konnte sich aber nicht an ihm festhalten, weil ihre Arme noch immer gefesselt waren. Sie drückte sich eng an seinen Rücken, um zumindest ein wenig Halt zu finden. Noch immer konnte sie kaum glauben, dass wirklich er es war – sie hatte ihn doch krank und geschwächt in Paris zurückgelassen.
    »Was tust du hier?«, flüsterte sie mit Eisengeschmack im Mund.
    »Ich erklär dir später alles.«
    Und so ließen sie den Wagen und die Toten zurück, bogen in eine Gasse, fuhren durch einen Torbogen über zwei miteinander
verbundene Hinterhöfe und kamen schließlich auf eine breitere Straße. Gillian bog noch dreimal mehr ab, ehe er das Motorrad in einem Spalt zwischen zwei Häusern zum Stehen brachte.
    Den Rest des Weges legten sie zu Fuß zurück. Unter tief hängenden Wäscheleinen hindurch, Treppen hinauf und hinunter, über einen weiteren Innenhof. Schließlich standen sie vor einer Hintertür. Aura beobachtete Gillian, als er einen Schlüssel hervorzog. Sie konnte kaum mehr als sein Profil erkennen. Er wirkte noch immer ausgezehrt, aber keineswegs so krank und gebrochen wie im Sanatorium.
    Er wollte aufschließen, hielt jedoch inne, drehte sich erst noch einmal zu ihr um und küsste sie, ungeachtet des Schmutzes auf ihrem Gesicht. Dann schenkte er ihr ein Lächeln, und sie hatte plötzlich das Gefühl, dass sich darin ein tiefer Schmerz verbarg. Lag das nur an der Düsternis des Hinterhofs?
    Er öffnete die Tür und führte sie in ein Treppenhaus. Aus einem Schankraum im vorderen Teil des Gebäudes erklang Stimmengewirr und Gläserklirren. Sie begegneten niemandem und erreichten einen Flur mit nummerierten Zimmern im ersten Stock.
    Kurz darauf fiel eine Tür hinter ihnen zu. Die Einrichtung war bestenfalls spartanisch: Ein Bett, ein Stuhl, ein Waschbecken. Gillian schloss ab. Sie waren allein und, für den Moment, in Sicherheit.
    Aura wollte zu viele Dinge auf einmal tun. Ihm sagen, wie erleichtert sie war, ihn zu sehen; ihm Fragen stellen; sich das Blut herunterwaschen; vor allen Dingen die Handschellen loswerden. Aber stattdessen stand sie eine Weile lang da, tat nichts von alldem, und sah ihn nur an. Froh und zugleich zutiefst besorgt. Auch im trüben Licht der Deckenlampe war da noch immer dieser Schatten auf seinem Gesicht.
    »Was ist los?«, fragte sie.

    Wich er ihrem Blick aus? Er ging hinüber zum Waschbecken, befeuchtete das Handtuch und kam damit zu ihr zurück. Wortlos begann er, ihr Gesicht abzutupfen, erst um den Mund herum, dann um die Augen.
    »Gillian«, sagte sie beschwörend und trat einen Schritt zurück. »Was ist passiert? Warum bist du in Prag?«
    »Erst die Handschellen.«
    »In meiner Innentasche steckt ein Dietrich.«
    Er griff in ihre Jacke und ertastete als Erstes Severins Uhrzeiger. Ein Wunder, dass sie

Weitere Kostenlose Bücher