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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ist lange her. Dann hat er mich im Stich gelassen und ist verschwunden. Wir wissen ja, wer die Schuld daran trägt.
    Ich vermisse dich, Tess. Wünsch mir Glück. Oder ihm. Oder uns beiden.
    Immer: Dein Gian
     
    P.S.: Sag Mutter nichts davon, falls du mit ihr sprichst. Sie hatte ihre Chance. Sie behauptet, dass sie ihn geliebt hat, aber was sie getan hat, hatte nichts mit Liebe zu tun. Sie wollte ihn für sich
allein, so ist sie eben. Und falls der Hermaphrodit in der Anstalt wirklich mein Vater ist, dann halten wir sie am besten so weit wie möglich von ihm fern. Sie hat es schon einmal verbockt.
     
    P.P.S.: Wenn sie es wäre, die da drinnen säße, ich würde keinen Finger rühren. Keinen. Einzigen. Finger.

KAPITEL 12
    Warum war die See immer grau, wenn sie das Schloss verließ?

KAPITEL 13
    Als Aura zum Festland übersetzte, entdeckte sie in einiger Entfernung ein zweites Boot, kleiner und ohne Motor. Die Ruder waren angelegt. Die Jolle trieb schwankend auf den Wellen, auf halber Strecke zur Friedhofsinsel. Die See war heute ruhig, trotzdem war das kein ungefährlicher Ort für solch eine Nussschale. Die ablandigen Strömungen konnten einen hinaus auf die Ostsee treiben, ehe man es bemerkte.
    Eine einzelne Gestalt stand zwischen den Ruderbänken, in einem wehenden weißen Kleid. Der Wind wirbelte Sylvettes blondes Haar auf, besaß aber nicht genug Kraft, um sie aus der Ruhe zu bringen. Sie stand da, als wäre sie schon Hunderte Male mit diesem Boot aufs Meer gerudert, vertraut mit der Tücke der See wie mit ihrem eigenen Körper.
    In einer Hand hielt sie einen Stoffsack. Im Boot lagen noch mehr davon, graue Buckel, die über den Rand der Reling ragten.
    Sylvette hatte Aura und dem Festland den Rücken zugewandt, griff in den Sack und streute etwas mit weitem Schwung in die Wogen. Aura verengte die Augen, um besser erkennen zu können, um was es sich handelte.
    Muscheln. Die Sammlung ihrer Mutter.
    Charlottes Zimmer im Westflügel waren voll mit Muscheln gewesen, Tausende und Abertausende, manche zu Schmuck verarbeitet, zu Bilderrahmen und Spiegeln, als Verzierungen auf Möbeln angebracht und in teure Kleider und Hüte eingenäht. Die allermeisten jedoch hatte sie belassen, wie sie waren, hatte sie in Kästchen und Schalen und Gläsern aufbewahrt wie tote Tiere in Spiritus.

    Die größten und schönsten Muscheln hatte Friedrich ihr aus Afrika mitgebracht, von der Küste der Großen Namib und aus anderen Kolonien am Ende der Welt. Sie waren Charlottes Flucht vor der Tristesse auf Schloss Institoris gewesen, ihr Blick in eine Welt jenseits der Dünen.
    Während das Motorboot Aura zum Ufer trug, sah sie zu, wie Sylvette die Muscheln mit vollen Händen über die Reling schleuderte, in weiten, wirbelnden Bögen. Die kleine Jolle tanzte auf den Wellen, aber Sylvette stand darin, ohne sich abzustützen, scheinbar eins geworden mit dem Boot. Sie gab dem Meer zurück, was einst ihm gehört hatte.
    Aura betrat den Landungssteg und folgte ihm zum Strand. Das Automobil aus dem Dorf erwartete sie am Ende der schmalen Straße; sie war vor einigen Jahren angelegt worden und drohte, unter Sandwehen zu verschwinden.
    Noch einmal, zum letzten Mal, schaute Aura sich um, einen Fuß auf der Schwelle des Wagens.
    Sylvette schüttelte die restlichen Muscheln aus dem Stoffbeutel in die See, legte den Kopf in den Nacken und hob beide Arme empor. So stand sie da, mit flatterndem Goldhaar, bis sie irgendwann den Beutel davontreiben ließ, ein wabernder heller Fleck in den Böen, als schaute ein Stück leere Leinwand durch das Gemälde eines Romantikers.
     
    In Berlin wurde ihr Gepäck von Angestellten der Aero Lloyd zum Flugzeug transportiert, aber den kleinen Koffer mit Utensilien aus Nestors Labor trug sie eigenhändig über das Rollfeld.
    Der Flughafen Tempelhof war vor nicht einmal einem Jahr eröffnet worden: drei Landebahnen, zwei Flugzeughallen, ein Verwaltungsgebäude, dazu ein paar Lagerhäuser. Nur wenige Passagiere waren unterwegs zu der Maschine nach Paris, Aura zählte vierzehn. Fliegen war teuer, erst recht über Deutschland hinaus. Zwar waren die fünfhundert Mark Auslandsgebühr, die
Reichspräsident Ebert im April des Jahres eingeführt hatte, nach wenigen Monaten wieder aufgehoben worden, aber auch ohne sie kosteten Flüge ein kleines Vermögen.
    Ohnehin war es angesichts des deutschen Wirtschaftschaos schwierig, den Überblick über den Wert der Währung zu behalten. Auf die Papiermark war die Rentenmark gefolgt, seit

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