Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
August zahlte man mit der Reichsmark. Noch vor einem Jahr, 1923, hatte Aura für eine Bahnfahrt München-Berlin über eine Million Mark bezahlt. Mittlerweile waren die Nullen zusammengestrichen und der Geldwert stabilisiert worden, doch jedes Mal, wenn sie nach Deutschland zurückkehrte, stand sie stirnrunzelnd vor den Anschlagtafeln der Wechselstuben und schüttelte den Kopf über das, was in ihrer Heimat vorging.
    Im Inneren der Propellermaschine war es warm und stickig. Die wenigen Passagiere wurden gleichmäßig im Flugzeug verteilt, Aura erhielt einen Sitz nahe des Eingangs. Während sie auf den Abflug wartete, zeichnete sie gedankenverloren das Symbol aus der Uhr in ein Notizbuch.
    Nicht weit von ihr nahm ein weißhaariger Mann Platz, gepflegt und gut gekleidet, sicher an die Achtzig. Es dauerte keine halbe Minute, bis sich die Übelkeit meldete. Noch ehe die Maschine in der Luft war, wechselte Aura ihren Platz, aber da war es schon zu spät.
    Die Nähe alter Menschen sorgte zuverlässig dafür, dass ihr schlecht wurde. Sie schätzte, dass die Hälfte ihrer Mitreisenden in der engen Kabine siebzig oder älter war; noch eine Folge der hohen Flugpreise.
    Bald kauerte sie auf Knien im Toilettenverschlag, spuckte Galle in die Schüssel und flehte um eine rasche Landung oder – ebenso aussichtslos – um einen schnellen Tod.

KAPITEL 14
    Von Berlin aus hatte Aura ihrem Sohn ein Telegramm geschickt, aber nicht ernsthaft damit gerechnet, dass er sie abholen würde. Doch als sie das Flugplatzgebäude verließ, stand er da und erwartete sie.
    Gian trug einen dunklen Anzug und ein Hemd mit sauberem Kragen, darüber einen langen Mantel. Sein schwarzes Haar war geschnitten, er roch nach Seife. Nur an seinen Fingern waren Farbreste zu sehen, bunte Ränder unter seinen Nägeln.
    Ein knappes Nicken zur Begrüßung. »Mutter«, sagte er auf Deutsch und so leise, dass kein anderer es hören konnte. Er war sechsundzwanzig, sah aber älter aus. Man hätte Aura für seine jüngere Geliebte halten können.
    »Es ist dir unangenehm«, stellte sie fest, als sie ihm einen Kuss auf die Wange gab. »Tut mir leid.«
    »Schon gut.« Er betrachtete sie von oben bis unten. »Du siehst fantastisch aus, wie immer.«
    Gian wirkte gepflegter als vor drei Jahren, wenn auch müder. Den Briefen nach hatte er damals täglich Alkohol und Drogen bis zur Besinnungslosigkeit konsumiert, aber bei ihrer Begegnung war er nüchtern gewesen, wach, und dennoch nicht ganz Herr seiner selbst. Heute hingegen sah er aus, als hätte er sein Leben im Griff und bekäme lediglich zu wenig Schlaf.
    »Du wirkst überrascht«, sagte er.
    »Ich freu mich, dass es dir gut geht.«
    »Wer behauptet denn das?«
    Du, dachte sie. In deinen Briefen.
    Aber wenn er den leidenden Künstler spielen wollte, nur zu.

    »Da drüben.« Er deutete zu einer Haltestelle vor dem Hauptgebäude des Flugplatzes. »Der Bus fährt in die Stadt.«
    Sie behielt den Koffer mit Nestors Utensilien bei sich, ließ aber zu, dass er ihr übriges Gepäck an sich nahm, den Reisekoffer und ihre Büchertasche.
    »Lass uns ein Taxi nehmen.« Sie blickte zu einer Reihe schwarzer Automobile. Die Fahrer sahen aus wie fabrikgefertigt, alle mit Schirmmützen und gewachsten Schnurrbärten.
    »Der Bus ist viel billiger«, wandte er ein.
    Sie winkte dem Fahrer des vorderen Wagens zu. Sofort rollte das Taxi heran. »Aber wir sparen Zeit.«
    Missmutig sah Gian zu, wie das Gepäck im Fahrzeug verstaut wurde. »Das ist so bourgeoise. «
    Sie schob ihn auf die Rückbank. »Du bist in einem Schloss aufgewachsen. Daran wird auch eine Busfahrt nichts ändern.«
    Das Taxi setzte sich in Bewegung und bog auf die Hauptstraße Richtung Innenstadt. Hohe Pappeln bildeten eine eindrucksvolle Allee.
    Gian nannte die Adresse, die Aura aus seinen Briefen kannte. Sie berührte ihn kurz an der Hand – zaghaft, wie einen Fremden – , und bat ihn, als Erstes an der Anstalt vorbeizufahren.
    »Sie lassen niemanden zu ihm«, sagte er. »Ich hab’s versucht.«
    »Trotzdem will ich sehen, womit wir es zu tun haben.«
    »Es ist ein Sanatorium, ziemlich weit außerhalb.«
    »Gut, dass wir ein Taxi genommen haben.«
    Widerstrebend nannte er dem Fahrer ihr neues Ziel.
    Der Mann sagte: »Wird nicht billig.«
    Aura achtete nicht auf ihn und beobachtete stattdessen ihren Sohn. Vor zehn Jahren, mit sechzehn, war Gian zum Grund eines Sees hinabgetaucht, um ihr das Leben zu retten. Ungeachtet der Gefahr für sich selbst war er seinem Instinkt

Weitere Kostenlose Bücher