Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
vergittert, einige standen offen. Alles war darauf ausgelegt, eine Illusion von Freiheit zu vermitteln, die den reichen Interessenten ihre Skrupel nehmen sollte. Wahrscheinlich wiesen die Zellen ihrer ungeliebten Verwandtschaft alle nach hinten hinaus.
    »Halten Sie hier«, wies Gian den Fahrer an, bevor der den Wagen hinab ins Tal rollen lassen konnte. Etwa hundert Meter vor ihnen befand sich ein eisernes Tor vor einer kurzen, baumflankierten Einfahrt. Die Gitterflügel standen offen, Wächter waren keine zu sehen.
    Von ihrem erhöhten Halt aus hatten sie eine gute Aussicht über den Park und die Front des Anwesens. Unheilschwanger hatte Aura einen Bau mit achteckigem Grundriss erwartet, aber dies hier war keine Templerfestung wie das Sankt-Jakobus-Stift oder das Kloster im Kaukasus.
    Hinter einem Kranz aus Schmuckzinnen, zwischen spitzen Giebeln und verspielten Türmchen, stachen Kaminschlote in den Himmel. Auf einigen saßen Krähen und beobachteten die umliegenden Hügel.
    »Es hat keinen Zweck, wenn wir jetzt da runterfahren«, sagte Gian. »Sie würden uns nur noch einmal abweisen.«

    Und Gillian vielleicht fortschaffen, stimmte sie ihm in Gedanken zu. »Ich wollte es nur sehen, das ist alles.«
    Der Fahrer räusperte sich. »Heißt das, wir fahren zurück?«
    Aura blickte zur Windschutzscheibe hinaus, auf den steinernen Umriss des Sanatoriums Saint Ange. »Er ist wirklich hier, nicht wahr?« Sie erschrak über ihre eigene Wehmut.
    »Ja«, sagte Gian leise. »Das ist er.«
    Sie legte sanft ihre Hand auf seine und sagte zum Fahrer: »Bringen Sie uns in die Stadt.«

KAPITEL 15
    Gian wohnte über einem kleinen Lichtspielhaus im 18. Arrondissement. In den Glaskästen am Eingang hingen die verblichenen Plakate von Filmen, die hier Jahre nach ihren großen Erfolgen ein Gnadenbrot erhielten. Aura hatte zuletzt vor zwei Jahren eine Filmvorführung besucht, auf Einladung dieses Arztes aus der Charité. Den Film hatte sie mehr gemocht als ihren Begleiter.
    Gians Wohnung entpuppte sich als geräumiges Atelier, das die gesamte erste Etage einnahm. Früher sei dies der Lagerraum eines Puppenmachers gewesen, erklärte er. Ein halbes Dutzend Schaufensterpuppen, bemalt mit rotgelben Flammenmustern, stand vor einer Wand wie ausgestopfte Tänzerinnen. »Die hat er hier gelassen. Die Farben sind nur der Anfang. Früher oder später mache ich irgendwas Größeres daraus.«
    An allen Wänden, vor jedem Möbelstück und in den Rahmen der offenen Türen lehnten stapelweise Leinwände und Holzplatten, die von einem Rand zum anderen bemalt waren. Fünf, zehn, fünfzehn hintereinander. Dem Ton der Briefe entsprechend hatte Aura mit düsterer, kopflastiger Malerei gerechnet, mit viel Grau und Schwarz und wenig Hoffnung. Stattdessen erwarteten sie alle Farben des Regenbogens. Auf vielen Bildern sah sie abstrahierte Frauenkörper in leeren Landschaften, Leiber, die sich zu Bändern entrollten oder zerflossen wie Wachs; um manche schlängelten sich amorphe Schlieren.
    Gian stellte ihr Gepäck ab und deutete auf einen hohen Korbsessel, der aussah, als räkelten sich sonst nackte Modelle darin. »Nimm Platz.« Er wollte ihr beim Ablegen des Mantels helfen,
aber da hatte sie ihn schon abgestreift und über eine leere Staffelei geworfen. Er besaß mehrere davon, eine an jedem der hohen Fenster. Auf drei davon standen unvollendete Gemälde.
    Bevor sie sich auf das knirschende Korbgeflecht setzte, musste sie eine zerfledderte Zeitung und einen Kohlestift herunternehmen. Beides behielt sie in der Hand, während sie ihren Blick durch den Raum wandern ließ. »Gefällt mir, wirklich.«
    »Du wirkst schon wieder so erstaunt.« Er sagte das wie jemand, der einen anderen beim Schummeln erwischt hat.
    »Nur beeindruckt.«
    Neben den brennenden Tänzerinnen gab es weitere Skulpturen, collagenartige Anordnungen von zweckentfremdeten Gegenständen und Stoffen, alle ein wenig achtlos an die Wände des Ateliers gerückt.
    »Ich bin Maler«, sagte er, als er ihr Interesse daran bemerkte. »Meine Plastiken taugen nicht viel. Die da sind alle missglückt.«
    Sie betrachtete einen Baum aus Puppenarmen, in dessen Krone er das verbogene Zifferblatt einer Uhr befestigt hatte. Die Hände schienen wimmelnd danach zu greifen. »Die da hat was«, sagte sie.
    »Viel zu banal.«
    »Weil die Aussage so klar ist?«
    Zum ersten Mal grinste er. »Ich hatte letzten Sommer keine subtile Phase.«
    Er war so anders, als sie aufgrund seiner Briefe befürchtet hatte. Gian mochte

Weitere Kostenlose Bücher