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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gefolgt. Sie würde ihm das niemals vergessen, ganz gleich wie sehr er vorgab, sie zu verachten.

    Gian blickte zwischen den Sitzen hindurch auf die Straße. Das tiefschwarze Haar hatte er von Aura, ebenso die dichten Augenbrauen. Seinem Körper mochte er einiges zugemutet haben, doch seine Attraktivität hatte darunter nicht gelitten; das verdankte er wohl Gillian. Er war schlank, mittelgroß und besaß ein scharfes Profil.
    »Tess hat dir alles erzählt, nehme ich an«, sagte er.
    Im ersten Moment glaubte sie, er meinte wirklich alles. Die Geständnisse aus den dreizehn Briefen. Die gesamte Vorgeschichte und natürlich, was er über seine Mutter dachte. Aber er spielte wohl nur auf den letzten Brief an, auf die Sache mit Gillian und wie er davon erfahren hatte.
    Sie nickte. »Und du weißt es von einer Schwester aus diesem Sanatorium?«
    »Colette. Sie hat ihn nicht mit eigenen Augen gesehen, nur gehört, wie die anderen Schwestern über ihn gesprochen haben. Na ja, ebenso gut hätte sich auch alles als Unsinn herausstellen können.« Er zuckte die Achseln. »Ich kenne sie kaum; wäre auch möglich gewesen, dass sie sich nur wichtig machen wollte. Aber dann bin ich dort gewesen, um mich nach ihm zu erkundigen, und da haben sich diese Leute ziemlich merkwürdig aufgeführt. Erst haben sie natürlich alles abgestritten. Als ich mich nicht hab abwimmeln lassen, wurden sie einigermaßen rabiat und haben mir erklärt, dass ein solcher Patient unmöglich Besuch empfangen könne. Kurz gesagt: >Bei uns gibt es diesen Kerl zwar nicht, aber wenn es ihn gäbe, dürften Sie ihn trotzdem nicht sehen.‹« Gian verzog die Lippen. »Was so viel heißt wie: >Er ist hier. Halten Sie den Mund und verschwinden Sie.‹«
    »Ich hab mit einem Bekannten telefoniert«, sagte sie. »Einem Psychiater in der Charité. Er kannte einige Kliniken in Paris, aber diese musste er nachschlagen. Sie scheint nicht besonders namhaft zu sein.«

    »Es ist einer von diesen Orten, an denen reiche Familien ihre kranken Angehörigen verstecken. Man schiebt die verrückte alte Tante dorthin ab oder den entmündigten schwerreichen Vater. Gern auch Söhne und Töchter, die gegen die Etikette der Familie verstoßen haben. Alkoholiker und Drogensüchtige. Sie verschwinden auf Nimmerwiedersehen im Irrenhaus.«
    »So löst man Probleme.«
    »Stattdessen kann man sie auch einfach ignorieren.«
    »Wenn jemand darauf besteht, sich nicht helfen zu lassen«, sagte sie, »bleibt einem manchmal keine Wahl.«
    Sie fuhren durch ein grünes Villenviertel, in dem selbst das Straßenpflaster sauber glänzte. Eine Gruppe kleiner Mädchen mit Kapuzenmänteln über ihren weißen Kleidchen wurde von einer Lehrerin über eine Kreuzung geführt.
    Bald ließ das Taxi die bebauten Straßenzüge hinter sich. Rechts und links wellte sich Ackerland über sanfte Hügel, hinter einer Kuppe wuchsen Giebel und Turmzinnen empor. Vögel kreisten um die Schindeldächer und Wetterhähne.
    »Saint Ange«, sagte Gian, die ersten Worte im Wagen seit zehn Minuten. »Wir sind gleich da.«
    »Saint? Ich dachte, das sei eine private Anstalt?« »Mittlerweile. Sie gehört einem Konsortium, das in alles Mögliche investiert, von Schiffswerften über Nobelrestaurants bis hin zu einer Parfümerie. Das Einzige, was alle gemein haben, ist die Tatsache, dass sie ziemlich gute Profite abwerfen.«
    »Hast du irgendwas über die Heimleitung in Erfahrung bringen können?«
    »Es gibt einen Direktor namens Tolleran. Professor Tolleran. Er ist weisungsbefugt in allen Belangen und nur gegenüber dem Vorstand des Konsortiums verantwortlich. Viel hab ich über ihn nicht rausgekriegt, nur dass er lange in den Kolonien tätig war, in Afrika. Es heißt, er habe dort einige Erfolge bei der Behandlung traumatisierter Soldaten gehabt.«

    »Sehr gut.« Sie schenkte ihm ein anerkennendes Lächeln. »Du hast deine Hausaufgaben gemacht.«
    Sein Blick blieb auf die Giebel des Sanatoriums gerichtet. »Ist nur das erste Mal, dass du sie kontrollierst.«
    Saint Ange lag in einem seichten Tal zwischen Hügeln voller Ginstersträucher. Auf der einen Seite grenzte es an einen Kiefernhain, auf der anderen an einen schmalen Flusslauf. Aura entdeckte an einem der Nebengebäude ein rankenumsponnenes Mühlrad, das wohl seit langer Zeit stillstand.
    Die Anstalt war ein ehemaliges Herrenhaus mit einem gepflegten kleinen Park vor dem Haupteingang, geschwungener Doppeltreppe und Steinbalustraden. Keines der Fenster an der Vorderseite war

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