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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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kompliziert sein und zu Selbstmitleid neigen, aber er war auch ihr Sohn. Gillians Sohn.
    Schwungvoll ließ er sich auf einen Drehhocker vor dem Schreibtisch sinken und rotierte einmal um sich selbst. »Und?«, fragte er. »Wie holen wir ihn raus?«
    Hier mochte Fingerspitzengefühl angebracht sein – nur war Aura darin nie besonders gut gewesen. »Ich erledige das lieber allein.«

    »Vergiss es. Ich komme mit.«
    »Ich hab Erfahrung mit solchen Dingen.«
    »Woher weißt du, dass ich keine habe?«
    Sie neigte den Kopf, insgeheim erfreut über seinen starken Willen. »Ich bin zuletzt vor zehn Jahren hier in Paris gewesen, und damals bin ich in so viele alte Gemäuer eingestiegen, dass es für ein Leben reichen würde.«
    »Dann kann ich was von dir lernen.«
    Sie lehnte sich in dem Korbsessel vor. »Es geht nicht darum, jemandem irgendwas zu beweisen.«
    Seine Miene verfinsterte sich. »Du glaubst, darum ginge es mir?«
    »Ich wollte nicht —«
    »Er ist mein Vater. Ich war es doch, der überhaupt erst rausgefunden hat, wo er steckt. Glaubst du wirklich, ich werde hier sitzen und Däumchen drehen, während du den Rest erledigst?«
    »Wir haben beide keine Ahnung, was uns in dieser Anstalt erwartet. Wie gut ist sie bewacht? Welche Kontrollen gibt es nachts? Wer hat ihn überhaupt dort hineingesteckt? Rechnen sie damit, dass jemand einbricht?« Sie schüttelte den Kopf. »Warum willst du das Risiko —«
    »Und du?«, fiel er ihr ins Wort. »Er hat dich verlassen. Er liebt dich nicht mehr. Und für mich hat er sich seit einer Ewigkeit nicht interessiert. Wir waren ihm jahrelang scheißegal, also bilde dir nicht ein, dass du ein größeres Anrecht darauf hättest, ihm zu helfen. Oder eine größere Verpflichtung.«
    Sie sah ihm fest in die Augen. »Er wird deshalb nicht zu mir zurückkommen, das weiß ich. Denkst du, deshalb wäre ich hier?«
    Halb erwartete sie, dass er nachsetzen und in dieselbe Kerbe schlagen würde – und sie hätte ihn verstanden, zähneknirschend – , aber er senkte mit einem Kopfschütteln den Blick.
»Wenn du glaubst, etwas wiedergutmachen zu müssen – von mir aus. Aber versuch nicht, mir zu verbieten, das Gleiche zu tun. Wir holen ihn da raus – und zwar gemeinsam.«
    Lange sahen sie einander an, dann sagte Aura: »Wir brauchen einen Wagen.«
    Gian lächelte. »Ich hab was Besseres.«
     
    Gegen Mitternacht bogen sie von der Hauptstraße in einen Feldweg. Der Mond beschien tiefe Furchen, die nach dem letzten Regen von Pferdekarren in den Boden gezogen worden waren. Sie hatten sich zu schroffen Kanten verhärtet, denen die Achsen eines Automobils nicht standgehalten hätten.
    Das Motorrad hingegen hatte es leichter. Gian lenkte es geschickt um die schlimmsten Schlaglöcher und Rinnen, während Aura missmutig im Beiwagen hockte und kräftig durchgeschüttelt wurde. Sie hatte nie zuvor in solch einer Blechbüchse gesessen und hasste sie von der ersten Minute an mit Hingabe. Das einzelne Rad unter ihr sprang auf und ab wie ein Ball, während das Gestänge bedenklich vibrierte.
    Gian hatte das Gefährt von einem Freund geliehen, wohlweislich ohne ihm zu verraten, was genau er damit vorhatte. Es war eine ausgemusterte Militärmaschine, wuchtiger und schwerer als die meisten zivilen Modelle, und wie geschaffen für raues Terrain. Anders als Aura. Längst tat ihr jeder Knochen weh, ihr Nacken war ein einziger Krampf.
    Gian trug eine Lederjacke und eine Motorradhaube, die Schutzbrille hatte er ihr gegeben. Weil der Steinschlag unangenehm werden könne, hatte er gesagt. Das hätte ihr eine Warnung sein müssen. Ein Himmelreich für ein Taxi!
    Endlich brachte Gian das Motorrad an einem einsamen Wegkreuz zum Stehen. Vor ihnen lag eine Hügelkuppe, darüber wölbte sich der Sternenhimmel, durchadert von faserigen Wolkenketten.

    Gian zog sich die Lederhaube vom verschwitzten Haar. »Den Rest müssen wir zu Fuß gehen.«
    »Gehen?«, stöhnte sie und zerrte sich die Schutzbrille herunter. »Du hast mich gerade rollstuhlreif gefahren.«
    Mit einem verwegenen Lächeln schwang er sich vom Sattel. »Man könnte meinen, du seist älter, als du aussiehst.«
    Vorsichtig drückte sie sich auf den Rändern des Beiwagens nach oben, hatte das Gefühl, ihre Arme wären die einzig unversehrten Körperteile, und fragte sich, wie viel komplizierter es die Sache wohl gestaltete, wenn sie den Rest des Weges auf Händen lief. Gian war rasch an ihrer Seite und schob ihr einen Arm unter die Achsel.
    »Einhaken,

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