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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gas. »Sie wissen ja nicht, was Sie da tun! Diese Behandlung verändert einen Menschen, sie kann Dinge aus der Vergangenheit in ihm wecken. Er wird wieder sein, was er früher einmal war. Ein skrupelloser Mörder.«
    »Der Mörder, in den ich mich verliebt habe.« Und sie schnitt weiter. Das untere Lederband fiel von Gillians Mund. Seine Lippen waren blutig gebissen und verkrustet. Sie standen einen Spalt weit offen.
    Sie ließ die Skalpellklinge hinauf zu dem Band vor seinen Augen wandern. Ihr Revolver deutete noch immer nach unten. Sie wollte Tolleran nicht unnötig provozieren.
    Gian machte einen weiteren Schritt auf sie zu. Er war noch fünf Meter von der Plattform entfernt. Seine Pistole wies unverändert auf den Professor.
    »Zurück!«, sagte Tolleran fast kleinlaut.
    Gillians lederne Augenbinde fiel. Seine Lider waren geschlossen, die Wimpern verklebt.

    Zum ersten Mal verlor Aura die Fassung. »Großer Gott«, flüsterte sie.
    »Lassen Sie endlich die Waffe fallen!«, fuhr Tolleran sie an.
    Draußen krachte ein Flügel der Bogentür gegen die Wand.
    Gillian schlug die Augen auf. Er sah an Aura vorbei, dann, ohne den Kopf zu drehen, auf Tolleran.
    Eine Hitzewelle packte sie. Sie blickte in diese Augen, fand ihre Vergangenheit darin, eine Zeit vor zwanzig Jahren, und dabei überkam sie ein so wildes, primitives Verlangen, dass alles andere um sie herum an Bedeutung verlor – eine Ahnung von dem, was Tolleran den Verstand gekostet hatte.
    Auch der Professor wurde davon erfasst. Gillians überirdisches Charisma entfachte seine Begierden innerhalb eines Herzschlages. Aber selbst jetzt noch kämpfte Tolleran dagegen an. Mit zitternder Hand schwenkte er die Mündung seiner Waffe auf den Gefangenen.
    Gillians Ausdruck veränderte sich nicht. Sein Blick blieb auf Tolleran gerichtet. Aura schien es, als fiele aller Schmutz und alles Leid von ihm ab, als schlügen Flammen aus den Öffnungen seines Schädels, setzten seine Haut in Brand, sein Haar, und griffen schließlich auf ihn selbst über.
    Gillian war wie ein Gefäß, das überlief, war jetzt Mann und Frau zugleich, ein Kaleidoskop der Geschlechter. Aura verfiel ihm mit jeder Sekunde mehr, ein Strudel, der sie tiefer in das Chaos ihrer Leidenschaften riss.
    Da peitschte ein Schuss. Tolleran wurde nach hinten geschleudert.
    Gian feuerte ein zweites Mal.
    Und der Pavian tobte zur Tür herein.

KAPITEL 19
    »Mutter!«
    Gians Stimme.
    Aura sah Tolleran zu Boden stürzen, ein münzgroßes Loch in der Brust und ein zweites im Hals, aus dem Blut sprudelte wie Wasser aus einem geplatzten Schlauch. Er versuchte noch, die Hand darauf zu pressen, fiel aber auf seinen Ellbogen und blieb zuckend liegen, während sich seine Schlagader in den Abfluss entleerte.
    Schützend schob Aura sich vor Gillian, als sie das Biest in der Zirkusuniform durch den Saal stürmen sah. Am Rand ihres Blickfelds war Gian noch einen Moment lang wie gelähmt, blickte von Tolleran auf seine Pistole, dann zur Tür. Er bewegte sich langsam, viel zu langsam, wie ein Schlafwandler, als er den heranpreschenden Affen entdeckte. Schwenkte die Waffe herum. Holte mit der Phiole aus.
    Der Pavian aber achtete gar nicht auf ihn, raste auf allen vieren an ihm vorbei, weiter auf das Zentrum der Halle zu, ignorierte auch Aura und Gillian, und kam neben Tolleran zum Stehen.
    Gian zielte mit der Pistole auf das Tier.
    »Nein!«, rief Aura. »Nicht!«
    Gian zögerte. Die Wellen von Gillians Ausstrahlung waren nicht bis zu ihm vorgedrungen, aber der Sterbende in der Blutlache ließ ihn nicht ungerührt. Er blinzelte, ließ die Waffe nicht sinken, drückte aber auch nicht ab.
    Gillians Einfluss auf Aura nahm allmählich ab. Sie war benommen, ihr Unterleib bebte, aber trotz der Fieberhitze klärte sich ihre Sicht.

    Der Pavian kauerte neben seinem Meister am Boden, stupste ihn mit den langen Fingern an, presste einen auf seine Stirn und zog die Affenklaue wieder zurück. Dann drückte er eine Fingerspitze in das Blut und führte sie zu Tollerans Mund, als wollte er den alten Mann damit füttern, damit es ihm wieder besser ginge.
    »Behalt ihn im Auge«, sagte Aura mit heiserer Stimme zu Gian, »aber tu ihm nichts, bevor er nicht angreift.«
    Ihr Sohn nickte stumm.
    Gillian Züge zuckten. Er schien anzukämpfen gegen das, was mit ihm geschah, und seine Augen waren wieder geschlossen. Aura öffnete die Schnallen an seinem Hinterkopf, zog ihm die Maske herunter, löste die Gurte an seinen Armen und zuletzt an der Brust.

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