Die Alchimistin 03 - Die Gebannte
einander, redeten, teilten ihre Erfahrungen.
Aura und Gillian hatten nie wieder miteinander gesprochen, nicht einmal Briefe geschrieben.
Zwei Stunden später, als Gian sich schlaftrunken aus dem Bett quälte, hatte sie bereits ihre Sachen gepackt, alle nötigen Salben und Medikamente an Gillians Bett aufgereiht und genug Kaffee getrunken, um während der Fahrt zum Flugplatz nicht einzuschlafen.
»Du willst abreisen?« Gian wirkte nicht überrascht. Er nahm ihre Tasse und trank in einem Zug den Rest aus.
»Er braucht mich nicht, um gesund zu werden. Und du kommst besser ohne mich klar.«
»Das ist alles? Du holst ihn da raus, lädst ihn hier bei mir ab und verschwindest wieder? Hast du ihn dir mal angesehen?«
Gian hatte das Bett für seinen Vater geräumt, ein Metallungetüm mit hohen Pfosten und Gazevorhängen. Er selbst hatte die vergangenen Stunden auf einigen Kissen am anderen Ende des Ateliers geschlafen. Er hatte auch für Aura zwei Decken bereitgelegt, aber nachdem er eingeschlafen war, hatte sie eine über ihn und die andere über Gillian gebreitet.
Gillian lag auf dem Rücken. Sie hatte seine Verletzungen verbunden, aber bei den meisten handelte es sich nur um Abschürfungen und Druckstellen von den Ledergurten. Auch die Wunden in seinem Gesicht würden heilen und wahrscheinlich nicht einmal Narben hinterlassen.
»Wenn er aufwacht«, sagte sie leise, »falls er aufwacht, dann sag ihm nicht, dass ich hier war.«
»Hier im Atelier?«
»In Paris. Er braucht nicht zu wissen, dass ich irgendwas damit zu tun hatte.«
»Herrgott, warum denn nicht?« Erst jetzt schien Gian endgültig zu erwachen. »Was ist das für ein Blödsinn? Ihr seid doch keine fünfzehn mehr!«
»Darum geht’s nicht.«
»Was willst du dir damit beweisen? Dass er dir nichts mehr bedeutet? Dass ihr einander nicht mehr braucht?« Er sah ihr fest in die Augen. »Ich bin achtundzwanzig, und ich kann damit umgehen, dass meine Eltern nicht gemeinsam alt werden. Aber ich sehe doch, wie sehr du an ihm hängst. Und als ich vor zehn Jahren mit ihm gesprochen hab, da hat er kaum über etwas anderes reden wollen als über dich.«
»Trotzdem ist es besser so«, widersprach sie.
»Besser für dich? Weil es leichter ist, genauso weiterzumachen wie bisher?«
»Nein, für ihn«, antwortete sie. »Ich nehme die nächste Maschine nach Prag. Ich werde herausfinden, wer ihm das angetan hat, und warum. Falls er sich in den letzten zehn Jahren nicht allzu sehr verändert hat, dann würde er versuchen, mir zu folgen. Und er ist in keinem Zustand, um sich in irgendwelche Abenteuer zu stürzen.«
»Abenteuer?« Er schüttelte verärgert den Kopf. »Alles, was im Saint Ange passiert ist? Deine Suche nach den Drahtziehern? Für eine Unsterbliche sind das alles nur ein paar Abenteuer, sonst nichts?«
»Jetzt wirst du verletzend.«
Gian ergriff ihre Hand. »Ich will dich nicht verlieren, Mutter. Und ihn auch nicht. Ist das so schwer zu verstehen?«
Sein Eingeständnis verunsicherte sie, und wie immer, wenn Gefühle sie überforderten, wusste sie sich nicht anders zu helfen, als sie zu ignorieren.
»Ich habe Gillian schon vor langer Zeit verloren, und – unsterblich oder nicht – ich kann die verdammte Uhr nicht zurückdrehen. Ich kann nur dafür sorgen, dass es ihm gut geht. Und hier bei dir hat er es besser als irgendwo sonst. Hier kann er sich erholen, weil du für ihn sorgen wirst. Und er wird dir sehr viel mehr Zeit dafür lassen, wenn du ihm nicht erzählst, was ich vorhabe. Meine Güte, Gian – was ist so schlimm daran,
ihm vorzuschwindeln, dass du ihn allein dort rausgeholt hast? Das war es doch, was du ursprünglich vorhattest. Halt mich einfach heraus aus der Sache. Um seinetwillen.«
Er ließ ihre Hand wieder los. »Er würde die Wahrheit erfahren wollen.«
Sie wandte sich ab, ging ans Fenster und blieb mit dem Rücken zu ihm vor der Scheibe stehen. »Glaubst du, es war Zufall, dass sie ihn unter diesem Namen geführt haben? Oder dass du überhaupt davon erfahren hast? Hat diese Colette mit einem Wort erwähnt, was im Saint Ange passiert ist? Dass Tolleran den Verstand verloren hat?«
»Du glaubst, dass sie mich reingelegt hat?« Seine Schritte näherten sich der Fensterfront. Sie spürte ihn ganz nah hinter sich, aber diesmal berührte er sie nicht. »Du glaubst, ich bin mal wieder an der Nase herumgeführt worden, von einem deiner Feinde? Dass ich wie damals nur ein Werkzeug war und von irgendwem manipuliert wurde?«
Langsam
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