Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
diesem Kuppelsaal nicht so, als ob sie ins zwanzigste Jahrhundert gehörten. Vielmehr erweckten die Maschinen und Instrumentarien den Eindruck einer exzentrischen Sammlung,
eines Museums all jener Scheußlichkeiten, die Geisteskranke in früheren Zeiten hatten erdulden müssen.
    Die Mitte des Kuppelsaals wurde von einem hochlehnigen Holzstuhl beherrscht. Er stand auf einem runden Podest, das man auf einem Unterbau aus tellergroßen Zahnrädern und Winden angebracht hatte. Eine ölige Maschinenkette verschwand in einer Öffnung im Boden. Augenscheinlich ließen sich Stuhl und Podest in Drehung versetzen wie ein Karussell, doch im Augenblick bewegte sich nichts.
    Ein nackter Mensch saß aufrecht da, festgeschnallt an Armen und Beinen. Über den muskulösen Bauch und die Brust verliefen zwei breite Gurte. Er trug eine Maske aus Lederbändern, die seine Augen bedeckte, Nase und Mund jedoch frei ließ. Sie musste am Hinterkopf mit Schnallen fixiert sein.
    Aura erkannte ihn sofort: seinen durchtrainierten Körper, dazu die leichten Wölbungen weiblicher Brüste. Seit achtzehn Jahren hatte er sich nicht verändert. Ihre Lippen formten seinen Namen, aber sie brachte keinen Ton zustande.
    »Vater«, flüsterte Gian und wollte vorpreschen, aber sie hielt ihn zurück.
    »Warte!«
    Wo steckte Tolleran? Sie hatten eine Stimme gehört. Irgendwer war mit Gillian hier gewesen.
    »Kommen Sie raus«, sagte Aura laut und schwenkte den Revolver in einem langsamen Halbkreis über die Instrumentenreihe. Das Licht an den Wänden der Steinkuppel war fahl, überall gab es Schatten und mögliche Verstecke. Nur rund um das Drehpodest hingen drei helle Lampen an Kabeln vom höchsten Punkt der Decke herab und tauchten den Gefangenen in grellweißen Schein.
    »Tolleran!«, sagte sie. »Ich weiß, dass Sie hier sind.«
    Ein Zucken fuhr durch Gillians Körper, als er versuchte, sich unter den Ledergurten aufzubäumen, um dann wieder zu erschlaffen.
Wie ein Träumer, der für einen Augenblick die Anwesenheit eines anderen spürte.
    Ein Scharren, links von ihnen.
    Gian legte an, aber Aura schlug seinen Arm mit der Pistole nach unten. »Damit weckst du die ganze Anstalt.«
    »Ich bring das Schwein um.«
    »Ja«, sagte sie mit wenig mütterlicher Vernunft, »wir erledigen ihn. Aber vorher müssen wir erfahren, wer ihm den Auftrag gegeben hat, Gillian hier einzusperren.«
    Ein Schuss peitschte, und einen Herzschlag lang glaubte sie, Gian hätte trotzdem gefeuert. Dann spürte sie den rasenden Schmerz an ihrer linken Hüfte und erkannte, dass sie rückwärts gegen die geschlossene Türhälfte getaumelt war.
    Gian feuerte in die Schatten zwischen dem Bottich und einer komplizierten Apparatur aus Holzträgern und hängenden Gurten. Der Rückstoß brachte ihn fast aus dem Gleichgewicht. Wahrscheinlich stammte das Ding vom selben Freund wie das Motorrad.
    Aura ignorierte den Streifschuss, packte ihren Sohn am Arm und zerrte ihn mit sich nach rechts. Gemeinsam stürzten sie einen Operationstisch mit Metalloberfläche um und suchten dahinter Schutz.
    »Was wollen Sie?«, rief ein Mann auf Französisch aus dem Halbdunkel auf der anderen Seite des Saales.
    »Sind Sie Tolleran?«, rief Gian hinter ihrer Deckung hervor.
    »Wen sonst haben Sie erwartet?«
    Aura wollte Gian beruhigen, aber der brüllte: »Für das, was Sie meinem Vater angetan haben, töte ich Sie!«
    »Hör auf, ihm zu drohen«, flüsterte Aura. »Wenn er glaubt, dass wir ihn auf jeden Fall umbringen, wird er nur noch gefährlicher.«
    »Er ist ein alter Mann —«
    »Der vermutlich besser schießt als du«, unterbrach sie ihn.
»Du hast gesagt, er war Armeearzt in den Kolonien. Dann ist er als Soldat ausgebildet worden. Lass mich mit ihm reden.«
    Da meldete sich wieder Tolleran zu Wort: »Sie sagen, ich hätte ihm etwas angetan?« Sein Lachen klang, als wäre er nicht ganz bei Trost.
    Aura versuchte, einen Blick auf Gillian zu erhaschen, aber eine der Schraubstockarmaturen am Nebentisch war im Weg. »Er wird Sie wohl kaum darum gebeten haben, ihn nackt an dieses Ding zu fesseln.«
    Tolleran musste zweimal ansetzen, ehe er einen verständlichen Satz zustande brachte. »Er hat ... Macht über mich.«
    Aura und Gian wechselten einen Blick. »Was redet der da?«, flüsterte Gian.
    »Wenn es so wäre, wie Sie sagen«, entgegnete sie hinter dem umgestürzten Tisch, »würde er nicht zulassen, dass Sie auf uns schießen.«
    »Nicht ... solche Macht«, gab Tolleran zurück. »Nicht wie ein

Weitere Kostenlose Bücher