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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Puppenspieler. Aber ich ... ich kann nur noch an ihn denken. Es ist, als hätte er mich infiziert – mit sich.«
    Gian schüttelte den Kopf. »Er ist betrunken oder hat irgendwas  –«
    »Ich glaube, ich weiß, was er meint.«
    Ein Scheppern ertönte aus Tollerans Richtung. Er bewegte sich. Aura riskierte einen Blick über den Tisch, konnte ihren Gegner aber nirgends finden. Zu viele Apparaturen standen im Weg.
    Als kein weiterer Schuss erklang, rückte sie ein wenig zur Seite, um Gillian besser sehen zu können. Sie erkannte blutige Scheuerränder unter den viel zu engen Gurten. Auch das Leder vor seinen Augen hatte Spuren auf Wangenknochen und Nasenrücken hinterlassen. Er war mit Wasser aus einem Schlauch abgespritzt worden wie ein Stück Vieh, im Saal roch es nach Fäkalien und Schweiß. Falls es Gillian gelungen war, Tollerans Geist mit seiner Ausstrahlung zu verwirren, dann transpirierte
der Professor möglicherweise schon seit Wochen wie ein erregter Halbwüchsiger.
    Und da verstand sie, was hier vorging.
    »Sie haben alle anderen fortgeschickt!«, rief sie Tolleran zu. »Weil Sie mit ihm allein sein wollten!«
    »Was?« Gian verzog das Gesicht.
    »Sie wollten ihn ganz für sich haben und mit niemandem teilen. Die anderen sollten ihn nicht einmal ansehen dürfen. Oder seine Schreie hören.« Die Vorstellung erfüllte sie mit Abscheu. Zuletzt musste Gillian die einzige Waffe eingesetzt haben, die ihm geblieben war. »Es hat Sie rasend vor Eifersucht gemacht, dass jemand auch nur neugierig auf ihn sein könnte. Ist es nicht so?«
    Tollerans Stimme kam jetzt aus einer anderen Richtung. »Er gehört mir!«, rief er. »Die haben ihn mir gebracht und in meine Obhut gegeben. Die wollen ihn nicht zurück, haben sie gesagt. Ich kann mit ihm tun, was ich für richtig halte. Um ihn zu heilen.« Er befand sich nicht mehr gegenüber von ihnen, sondern viel weiter rechts. Gillian war jetzt genau zwischen ihnen.
    Aura bedeutete Gian stumm, dass Tolleran sich an der Wand der Kuppel entlangbewegte, um sie von der Seite anzugreifen. Er verstand und nickte. Gemeinsam zogen sie den Tisch ein Stück herum, sodass er auch nach rechts eine brauchbare Deckung abgab. »Ich gehe zu Gillian und versuche, ihn loszumachen«, flüsterte Aura. »Bleib du hier und halt mir den Rücken frei. Kannst du das?«
    »Sicher.«
    Sie zog sich die Umhängetasche über den Kopf und stellte sie vor Gian ab. »Wenn Tolleran nah genug ist und du ganz sicher bist, dass du ihn triffst – und nur ihn –, dann wirf eine der Flaschen auf ihn. Es sind drei davon in der Tasche, jede in einem Schutzbehälter. Aber benutze nicht alle gleichzeitig, sonst kommen wir hier nicht mehr heil raus.«

    »Was ist aus >Wer sind seine Hintermänner?‹ geworden?«
    »Zur Not finde ich sie auch ohne ihn. Geh kein Risiko ein, in Ordnung? Dieses Zeug wird ihn töten, sehr viel sicherer als deine Pistole. Aber pass auf, dass du nichts davon abbekommst.«
    Gian nickte. Einen Augenblick später zuckten seine Finger vor und umfassten ihre Hand am Knöchel. »Pass auf dich auf, ja?«
    Nicht einmal in dieser Lage kam sie gegen das Lächeln an, das sich auf ihre Züge stahl. »Wir gehen zu dritt hier raus, das verspreche ich dir. Zusammen mit deinem Vater.«
    Gians Mundwinkel zuckten, als wollte er ihr Lächeln erwidern, aber es gelang ihm nicht ganz. Sie wusste auch so, was in ihm vorging.
    »Tolleran!«, rief sie in den Saal hinaus. »Wer versorgt Ihre Patienten, wenn niemand mehr hier ist?«
    Er gab keine Antwort. Wie lange ging das schon so? Die Stimmen aus den Zellen bekamen in ihrer Erinnerung einen anderen Klang, sie heulten und wimmerten, und ihre Nachahmung des Affengeschreis war keine Anbetung, sondern ein verzweifeltes Flehen um Gnade gewesen. Selbst das irre Gelächter war vielleicht nur das letzte Lebenszeichen eines Verhungernden gewesen, der seine Fäkalien aß. Oder sich selbst.
    Geduckt schlich sie in Tollerans Richtung, ungewiss, ob ihr Gegner sie von seinem Versteck aus sehen konnte. Sie war keine zehn Meter mehr von Gillians bizarrem Thron entfernt. Von einer Ablage, hinter der sie Deckung suchte, fischte sie ein Skalpell und behielt es in der linken Hand.
    Ein Schuss zerriss die Stille und prallte von der Stahloberfläche des Tischs ab. Der Querschläger traf scheppernd eine Blechschüssel.
    Tief am Boden bewegte Aura sich weiter auf Gillian zu.
    Aus der Nähe sah er noch schlimmer aus. Seine nackte Haut war schmutzig und zerschunden, das blonde Haar mit

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