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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nicht, hielt ihn sich nur unter die Nase. Der Geruch bedeutete ihm mehr als der Geschmack. Der Duft von frischem Kaffee war wie eine Bestätigung, dass er sich wieder in der wirklichen Welt befand, nicht mehr in Tollerans Tollhaus.
    »Sie vermisst dich«, sagte Gian.
    »Aura? Wohl kaum. Ich hab sie damals sitzen gelassen, mit einem kleinen Jungen und ihrer übergeschnappten Mutter. Und als wir uns in Spanien wiedergesehen haben, vor zehn Jahren, da hatte ich nicht den Eindruck, dass sie ...« Er presste für einen Moment die Lippen aufeinander und suchte nach den passenden Worten. »Sie war mit diesem Konstantin zusammen. Und ich mit Karisma. Außerdem war ich Großmeister des Templum Novum. Was irgendwann mal zwischen uns war, stand überhaupt nicht mehr zur Debatte.« Nach kurzem Zögern setzte er hinzu: »Ich hoffe wirklich, sie ist mit ihm glücklich geworden.«
    »Sie und Konstantin sind nicht mehr zusammen«, sagte Gian. »Er reist durch Europa und erforscht gotische Kathedralen, während sie ...« Er verstummte und betrachtete den Dampf, der aus dem Wasserkessel aufstieg. »Sie tut eben das, was sie immer getan hat. Was auch immer.«
    Gillian presste wortlos die Lippen aufeinander.
    »Was ist mit dir?«, fragte Gian.
    »Ich hab den Templum Novum verlassen, schon vor ein paar Jahren. Karisma war seit ewigen Zeiten die erste Frau im Orden, und jetzt ist sie seine erste Großmeisterin.«
    Ihre Beziehung hatte viel mit körperlichem Verlangen zu tun gehabt, in einem Umfeld, das jede Form von Verlangen unterdrückte. Ihre Verbindung war immer auch eine Rebellion gegen die Autorität des Ordens gewesen, und plötzlich waren sie selbst diese Autorität. Sie hatten den mittelalterlichen Verhaltenskodex
des Templum abgeschafft und damit, ohne es zu ahnen, ihrer Beziehung die Grundlage genommen. Vor ein paar Jahren hatte Gillian einen Schlussstrich unter seine Zeit als Tempelritter gezogen und war fortgegangen. Wieder hatte er einem Menschen, den er einmal geliebt hatte, den Rücken gekehrt.
    »Was hast du seitdem gemacht?« Gian goss kochendes Wasser aus dem Kessel in ein Kaffeesieb.
    »Ich war in Venedig. Die meiste Zeit über jedenfalls. Erinnerst du dich an den Palazzo Lascari, in den ich dich und Tess damals gebracht habe, nach der Flucht aus dem Schloss?«
    Gian lächelte. »Da war ein kleiner Drache aus Metall als Türklopfer vorne am Eingang.«
    »Nach Lascaris Tod gehörte der Palazzo auf dem Papier einer Stiftung, aber das war nur eine der offiziellen Identitäten des Templum Novum. Niemand hat das Gebäude genutzt, also bin ich dort eingezogen. Genau genommen in zwei Zimmer von – ich weiß nicht – dreißig, vielleicht. Der Rest steht weiterhin leer. Die Mauern sind feucht und die Dächer undicht. Aber ich mag es dort, auch weil ich Lascari eine Menge zu verdanken habe.«
    Er verschwieg, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Es gab nur eines, das er wirklich gut konnte, und er war damit einst in Wien und anderswo gut über die Runden gekommen. Schon kurz nach seiner Rückkehr nach Venedig hatte er festgestellt, dass er nichts verlernt hatte. Nur in der Auswahl seiner Kundschaft war er sorgfältiger geworden.
    Umso wütender machte es ihn, dass es einer dieser Kunden gewesen sein musste, der ihn ans Messer geliefert hatte. Seit er wieder klar denken konnte, zermarterte er sich darüber das Gehirn. Er hatte einen Auftrag angenommen, nichts Außergewöhnliches. Der Mann, der ihn vermittelt hatte, war jemand, für den er schon viele Male gearbeitet hatte. Eigentlich nur ein
Strohmann, der Botschaften und Umschläge überbrachte. Aller Wahrscheinlichkeit nach war nicht er es gewesen, der Gillian hereingelegt hatte, sondern sein anonymer Hintermann.
    Seine letzte klare Erinnerung war die an einen Abend auf der Laguneninsel Mazzorbo, an eine Verabredung am Ufer des Canale di Burano und an eine Gestalt in der Ferne, die sein Opfer hätte sein sollen; dann an Schritte in seinem Rücken, wo niemand hätte sein dürfen – und danach an nichts mehr.
    Damit endete seine Vergangenheit, und die Gegenwart hatte erst heute Morgen begonnen, im Atelier seines Sohnes. Dazwischen  – nur Dunkelheit und die Gewissheit peinvoller Erniedrigung. Jemand würde einen hohen Preis für das zahlen, was geschehen war.
    Gian fragte, ob er ihm heißen Kaffee nachschenken sollte. Zweimal.
    »Was ...? Nein, danke. Hör zu, Gian, ich –«
    »Du willst so bald wie möglich aufbrechen. Ich weiß.«
    Gillian suchte nach einem

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