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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Morgen in einem fremden Bett. Sie hatte schon Situationen erlebt, in denen ihr Wunsch, sich auf der Stelle in Luft aufzulösen, größer gewesen war.
    Die hohe Kassettentür stand offen, etwas tat sich davor. Das Tapsen von Fußsohlen auf Parkett, dann auf Teppich und wieder auf Holz. Sophia tauchte splitternackt im Türrahmen auf und hielt zwei dampfende Tassen in den Händen. Allein die zahllosen Augen bedeckten ihren Leib wie Geschmeide aus Lapislazuli. Dazu ein Lächeln, das mühelos den Sonnenschein überstrahlte. »Guten Morgen!«
    »Morgen«, murmelte Aura und versuchte erneut, sich aufzusetzen, diesmal erfolgreicher.
    Sophia nickte in Richtung der Bettkante. »Darf ich?«
    »Dein Bett, oder?«
    »Aber du liegst darin. Und bevor du fragst: Ich hab draußen auf dem Sofa übernachtet.«
    Der Kaffee war heiß und tat ungeheuer gut. Aura lehnte mit bloßem Oberkörper an der Kopfseite des Bettes, halb eingesunken in die Seidenkissen. Sophia machte keine Anstalten, ihr ein Gespräch aufzudrängen, nippte nur an ihrer Tasse und beobachtete den aufsteigenden Dampf. Dennoch schien sie auf irgendetwas zu warten.
    Bis tief in die Nacht hinein hatten sie geredet, nur konnte Aura sich beim besten Willen nicht erinnern, worüber. Aber wenn sie ehrlich zu sich war: Hatte sie etwas zu erzählen, das nicht in einer Verbindung zur Alchimie oder ihrer Familie stand? Seit einem Vierteljahrhundert beschäftigte sie sich mit nichts als der Geheimen Lehre – und mit sich selbst. Gott, sie war der langweiligste Mensch der Welt.
    »Da ist nichts, das dir unangenehm sein müsste«, sagte Sophia mit einem Blick, der viel zu weise wirkte für ihr Mädchengesicht.
    »Ich liege nackt im Bett einer Fremden.«

    »Davon mal abgesehen.« Sophia prostete ihr mit der Tasse zu. »Falls das in deinem Alter zum ersten Mal passiert ist, hättest du wirklich allen Grund, verlegen zu sein.«
    Also hatte Aura ihr verraten, wie alt sie war. Dabei machte Alkohol sie für gewöhnlich nicht geschwätzig, sondern verschlossen. Verdammter Absinth.
    »Was hast du jetzt vor?«, fragte Sophia.
    »Ich höre mich weiter um.«
    »Hat dieser Tolleran in einem Hotel übernachtet?«
    »Im selben wie ich. Wenn ich in meinem Hotel übernachtet hätte.«
    »Konnten die sich nicht an ihn erinnern?«
    »Doch, schon. Nur nicht, ob er sich dort mit jemandem getroffen hat. Aber wer immer ihn nach Prag gerufen hat, wird sich ohnehin bemüht haben, nicht mit ihm gesehen zu werden.«
    Sonnenlicht glitzerte in Sophias Kristallhaar. Es sah aus, als schwebte ihr Gesicht inmitten eines Sternbilds. »Heute Abend ist keine Vorstellung«, sagte sie leise und blickte beim Trinken in ihre Kaffeetasse.
    Aura suchte nach einer Ausrede, aber ihr fiel keine ein, die überzeugend klang.
    »Ich würde dich gern jemandem vorstellen«, sagte Sophia.
    Deinen Eltern?, dachte Aura sarkastisch, senkte schuldbewusst den Blick – und entdeckte etwas, das ihr bislang entgangen war. Fassungslos sah sie auf ihre Hände.
    Sophia strahlte vor Stolz, als sie es bemerkte.
    Zehn Augen blickten zu ihr auf. Stilisierte Augen, schneeweiß lackiert auf rabenschwarzen Grund.
    Eines auf jedem ihrer Nägel.

KAPITEL 27
    Am Ende eines schmalen Seitenkanals, hinter einer Mauer mit rostigem Eisentor, erwartete der Palazzo Lascari seinen Untergang im Schlamm der Lagune.
    Gillian stieg aus der Gondel auf den schmalen Gehweg vor dem Tor. Der Bootsmann wünschte ihm in gestelztem Italienisch den besten aller Tage in der schönsten aller Städte, aber als sein Trinkgeld nicht so hoch ausfiel wie gewünscht, verfluchte er seinen Fahrgast in wüstem venezianischem Dialekt. Gillian ignorierte ihn, obgleich er jedes Wort verstand. Er lebte seit über sechs Jahren in der »schönsten aller Städte« und sein lokal gefärbtes Italienisch unterschied sich kaum von dem der Einheimischen.
    Nachdem der Templum Novum vom Sinai nach Spanien weitergezogen war, hatte niemand mehr Anspruch auf den Palazzo erhoben. Graf Lascari, Gillians Vorgänger als Großmeister, war der letzte Spross eines lombardischen Adelsgeschlechts gewesen. Nach seinem Tod war sein weltlicher Besitz an den Orden gefallen. Aber Karisma und die anderen hatten genug damit zu tun, die Festung in der Sierra de la Virgen instand zu halten. Niemand hatte Interesse an dem Palazzo, und wie so viele Bauten in diesem Teil Venedigs, abseits der musealen Attraktionen zwischen Markusplatz und Rialtobrücke, war er unaufhaltsamer Fäulnis anheimgefallen.
    Ein

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