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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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bekommen, was ich wollte. Mehr war nicht rauszuholen.«
    Aura verstand sie nur zu gut. Nahm man der Alchimie ihren vergeistigten Nimbus und brach sie auf ihren reinen Nutzen herunter, dann blieb irgendwann nicht mehr viel übrig als Haarkosmetik.
    »Immerhin«, bemerkte sie, »das Ergebnis kann sich sehen lassen.«
    Sophia trank erneut und deutete auf das zweite Glas. Aura griff danach, roch den Anisduft und nippte zögerlich.
    »Du hast kein Bild von diesem Tolleran dabei?« Sophia legte die Hände auf ihre nackten Füße. »Eine Photographie? Irgendwas?«
    »Nein. Gibt es unter den Prager Alchimisten einen, der manchmal Gäste mit hierher bringt?«
    »Keinen, der regelmäßig auftaucht. Und die meisten kommen tatsächlich, um sich die Show anzusehen, nicht um zu reden.« Sophia bewegte nachdenklich ihre Zehen mit der Hand, einen nach dem anderen; auch ihre Fußnägel waren weiß lackiert und schimmerten wie Vogelschädel. Als ihr bewusst wurde, dass Aura sie beobachtete, lächelte sie verlegen. »Es wird nie leichter, auch nach all den Jahren nicht. Der Schmerz in den Füßen, die Wadenkrämpfe, das alles ... Es spielt keine Rolle, ob man seit zwei Jahren tanzt oder seit zweihundert.« Mit einem
lauten Knacken bog sie alle fünf Zehen des rechten Fußes auf einmal nach hinten. »Wenn jemand es wirklich darauf angelegt hat, dich nach Prag zu locken, dann wird er sich dir zu erkennen geben.«
    »Oder mir seine Leute auf den Hals hetzen.«
    »Hast du Feinde?«
    »Sieht so aus.«
    Sophia ließ von ihren Füßen ab, presste die Lippen aufeinander und sog mit einem schmatzenden Laut die Luft ein. Plötzlich strahlte sie.
    Aura hob argwöhnisch eine Braue. »Was?«
    »Ich möchte dich einladen.«
    »Wohin?« Aura blickte auf ihr Glas und bemerkte, dass es leer war. Wann hatte sie es ausgetrunken?
    Sophia sprang vom Sessel, beugte sich unvermittelt vor und hauchte Aura einen Kuss auf die Lippen. Einen dieser Küsse, die im Dunkeln anders schmecken als bei Tag.
    »Wir gehen zu mir.«

KAPITEL 26
    »Die Augen«, sagte Aura, als sie auf der Dachterrasse von Sophias Wohnung standen und über die Giebel und Lichter der nächtlichen Kleinseite blickten.
    »Was ist damit?«
    »Was haben sie zu bedeuten? Und warum so viele?«
    Sophia trat einen Schritt vor bis an das Steingeländer, drehte sich zu ihr um und lehnte sich gegen die Brüstung. »Das sind die Augen der Zuschauer.«
    Sie lachte leise, als sie Auras Blick bemerkte. Nach wie vor trug sie nur das weiße Hemd und die Leinenhose, ein kalter Ostwind presste beides eng an ihre Konturen. Ihre Schuhe hatte sie kurz nach Betreten der weitläufigen Wohnung abgestreift, irgendwo zwischen Diele und Salon.
    »Wenn dich Abend für Abend so viele Menschen anstarren, dann zehren sie dich irgendwann auf, wenn du dich nicht wehrst. Du verblasst einfach und bist nicht mehr du selbst. Darum mache ich es wie ein Spiegel, der das Licht reflektiert – ich werfe ihre Blicke zu ihnen zurück. Sie sehen ihre eigenen Augen auf meinem Körper, an all den Stellen, die sie heimlich oder ganz offen begaffen. Und statt mir etwas wegzunehmen, prallen sie von mir ab. Deshalb bin ich nach all den Jahren immer noch ich und nicht nur ein Schatten wie so viele andere, die das Gleiche tun.«
    »Sophia Luminique bist du jedenfalls nicht«, stellte Aura fest. »Sie ist nur eine Maske.«
    »Der Name ist eine. Aber was du hier vor dir siehst, das bin ich, wie ich immer war. Die Unsterblichkeit muss einen Menschen
nicht zerstören oder krank machen. Sie ist ein Geschenk, etwas ganz und gar Wunderbares.« Sophia löste sich vom Geländer, trat hinter sie und umfasste ihre Taille sanft mit beiden Händen. Aura spürte ihren Atem an den Härchen im Nacken. »Es gibt zwei Arten von Unsterblichen. Die einen, die einfach nur aufhören zu altern. Und die anderen, die das ewige Leben beim Wort nehmen – und leben. «
    Jenseits der Brüstung erstreckte sich das Ziegelmeer der Kleinseite bergab bis zum Fluss. Dicht gedrängt verschmolzen die Dachfirste der Barockpaläste mit Spalieren von Kaminschloten und gefliesten Steinfeldern voller Taubenschläge und Gewächshäuser. Das alles war nachts nur zu erahnen, bei Tageslicht musste der Anblick überwältigend sein. Aura kannte Vergleichbares aus Paris und Trastevere, und doch wohnte der Dachlandschaft der Kleinseite eine Magie inne, die es nur hier gab und die den Rätseln der Gassen am Fuß des Hradschin ebenso viel schuldete wie dem Auf und Ab dieser Giebel.
    »Wem

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