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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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überwucherter Weg führte vom Eisentor durch einen kleinen Garten zum Portal. Der Türklopfer — jener Drache, an den Gian sich erinnert hatte – war mit Grünspan überzogen. Das Bleiglasfenster darüber war zerbrochen. Gillian hatte vor einer Weile ein Brett hinter die Öffnung genagelt.

    Die Türflügel des hohen Portals hatten sich wegen der allgegenwärtigen Feuchtigkeit verzogen, er musste sich mit der Schulter dagegenstemmen, um sie zu öffnen. Das Holz schrammte über den Steinboden der Eingangshalle. Eine monumentale Treppe schraubte sich in weiten Windungen aufwärts und hinunter in die ehemaligen Keller, die längst im brackigen Wasser der Lagune versunken waren. Schimmel blühte in flächigen Kissen an den Wänden. Möbel gab es nur noch in den wenigen trockenen Räumen im ersten Stock. Dort hatte sogar Lascaris Bibliothek die Jahrzehnte unbeschadet überdauert.
    Ein scharfer Luftzug wehte Gillian entgegen, als er die Eingangshalle betrat. Irgendwo im Haus musste ein Fenster offen stehen. Bei seinem Aufbruch waren alle geschlossen gewesen.
    Zügig, aber ohne Hast machte er sich auf den Weg nach oben. Im vorderen seiner Zimmer war Kleidung über den Boden verstreut worden. Irgendwer hatte die Schubladen aus dem alten Schreibtisch gezogen, an dem schon Lascaris Vorfahren gesessen hatten. Lose Papiere lagen herum.
    Seine schlimmsten Befürchtungen galten der Bibliothek im Nebenraum. Doch statt leerer Regale und Bücherberge erwartete ihn ein friedvoller Anblick: Alle Bände standen an ihrem Platz, nichts war beschädigt. Nicht einmal die drei ledernen Ohrensessel vor dem Kamin waren verschoben worden. Nur ein benutztes Weinglas und eine angebrochene Rotweinflasche gehörten nicht hierher. Jemand hatte es sich offenbar gemütlich gemacht, in Büchern gestöbert und sie danach penibel wieder einsortiert.
    Gillian stieg hinauf in den zweiten Stock, hob in einem leeren Zimmer eine Platte aus dem Boden und kontrollierte die kleine Kiste, die darunter verborgen war. Sein Geld war nicht angerührt worden, augenscheinlich hatte auch niemand danach gesucht. Er steckte mehrere Bündel in seine Hosentaschen,
ergriff zögernd einen geladenen Revolver, legte ihn dann aber wieder zurück. Seine Aufträge hatte er stets mit bloßen Händen ausgeführt.
    Es war an der Zeit, zu alten Gewohnheiten zurückzukehren.
     
    Die Biblioteca Marciana war seit dem späten sechzehnten Jahrhundert in einem prachtvollen Palast an der Piazza San Marco untergebracht. Zuvor hatte sie in verschiedenen Gebäuden Venedigs residiert, auch im Dogenpalast auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. In ihren Sälen lagerte Europas größte Sammlung lateinischer, griechischer und arabischer Handschriften.
    Gillian betrat das prunkvolle Treppenhaus und passierte Gemälde von Tizian, Tintoretto und anderen venezianischen Künstlern. Nur noch vereinzelte Besucher – Kunstwissenschaftler und Philologen – waren so spät am Tag im Gebäude unterwegs. Gillian besaß einen Ausweis, der ihn unter falschem Namen zum Betreten aller Säle berechtigte. Der Mann, den er nur als Signore Ponti kannte, hatte ihm das Dokument schon vor Jahren besorgt, und die weintrinkenden, literaturinteressierten Einbrecher im Palazzo hatten es achtlos in einer der herausgerissenen Schubladen liegen lassen.
    Gillian durchquerte den dreigeschossigen Lesesaal mit seinen dicht bestückten Regalwänden. Die frühere Kuppeldecke war noch während der Bauarbeiten eingestürzt, der Architekt im Kerker gelandet. Später hatte man stattdessen Dachfenster eingesetzt, und so war der Raum auch am frühen Abend noch vom letzten Tageslicht erfüllt.
    Ponti war nirgends zu sehen, aber das wunderte Gillian nicht. Meist hatte er ihn im Salon getroffen und stets um diese Uhrzeit, während die Ordner die letzten Besucher zum Aufbruch drängten.
    Beim Treppensteigen spürte er die Nachwehen seiner Gefangenschaft.
Andere wären nach einer solchen Tortur kaum in der Lage gewesen, einen Schritt zu tun. Aber die schnelle Regeneration seines Körpers minderte nicht Gillians Wut. Jemand würde sie bald zu spüren bekommen.
    Beim Salon der Biblioteca Marciana handelte es sich um einen lang gestreckten Saal mit fantastischen Decken- und Wandmalereien. Mehrere Besucher kamen Gillian entgegen. Einer wies ihn darauf hin, dass die Manuskript- und Dokumenteneinsicht für heute beendet sei, aber Gillian ignorierte ihn. Nachdem die anderen den Saal verlassen hatten, schloss er leise die Tür hinter

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