Die Alchimistin 03 - Die Gebannte
sich. Mehr als ein paar Minuten mit Ponti allein würde er nicht benötigen.
Der Mann saß am letzten Lesepult des Saales, unweit der drei Fenster in der Stirnwand. Er hatte dem Raum den Rücken zugewandt, studierte mit einer Lupe eine historische Handschrift und achtete nicht auf die Schritte, die sich ihm von hinten näherten.
»Signore Ponti.«
Als der überraschte Bibliothekar herumfuhr, schlug Gillian ihm mit aller Kraft ein Buch mit ledernem Einband ins Gesicht. Er hatte es im Vorbeigehen von einem der Pulte genommen. Genau das richtige Gewicht.
Ponti ging mit einem Keuchen zu Boden. Während er noch benommen nach seiner zertrümmerten Brille tastete, packte Gillian ihn unterm Kinn und zerrte ihn mit einem Ruck zwischen Lesepult und Rückwand. Mit einem kurzen Blick überzeugte er sich, dass der Eingang des Salons geschlossen blieb, dann ging er neben seinem Opfer in die Hocke.
Signore Ponti stand unter Schock. Er war ein schmalbrüstiger Mann um die fünfzig, mit grauem Haarkranz und Pianistenfingern. Seine Unterlippe war aufgeplatzt und schwoll bereits an. Gillian legte ihm das Buch aufs Gesicht und drückte mit der flachen Hand darauf. Selbst durch den dicken Band hindurch
spürte er, wie das Nasenbein brach, langsamer und schmerzhafter als von einem Schlag.
Ponti verschluckte sich an seinem Blut. Gillian hob das Buch und entschied, dass ein weiterer Beweis seiner Entschlossenheit vonnöten war. Der Bibliothekar stammelte etwas, zuckte mit den Beinen und schien kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren.
Gillian wusste, was ihn wach halten würde. Er packte den rechten Unterarm des Mannes und drückte ihn fest aufs Parkett. In vergeblicher Gegenwehr spreizte Ponti die Finger. Gillian fixierte den Arm mit seinem Knie am Boden, presste das Buch aufrecht mit den steinharten Kanten des Ledereinbands auf Pontis Knöchel und schlug einmal kurz und fest mit der Faust darauf. Vier Finger brachen gleichzeitig, nur der Daumen war zu kurz. Gillian erwog, ihn kurzerhand aus dem Gelenk zu drehen, ließ es dann aber bleiben.
Ponti lag auf dem Rücken, das Gesicht blutverschmiert, Oberkörper und Glieder zuckend, aber er war hellwach und gab gurgelnde Laute von sich. Seine aufgerissenen Augen starrten Gillian ungläubig an. Er war bereits jenseits aller Hilferufe, ein Mann, der mit absoluter Gewissheit wusste, dass er sterben würde.
Doch so weit waren sie noch nicht.
»Wer steckt dahinter?«, fragte Gillian.
Pontis Lippen bebten. Blutbläschen platzten in seinen Mundwinkeln.
Gillian schlug das Buch auf, als wollte er darin lesen. »Von wem kam der Mazzorbo-Auftrag?«
»Kein ... Name«, ächzte der Bibliothekar.
Der aufgeschlagene Foliant landete mit der offenen Seite auf seinem Gesicht. Gillian rammte seinen Ellbogen von oben auf den Buchrücken. Es fühlte sich an, als würde sich der Schädel darunter nach innen beulen. Als er den Band herunternahm, hatte Ponti ein neues Profil.
»Ich schätze, wir können noch eine Viertelstunde so weitermachen«, sagte Gillian, »ehe irgendwer auftaucht. Vielleicht wissen die Ordner sogar, dass Sie noch hier arbeiten, und beschließen, Sie in Ruhe zu lassen. Dann hätten wir den ganzen Abend für uns, bis die Nachtwächter ihre Runden machen.«
»Hat keinen Namen ... genannt«, drang es röchelnd über die aufgeplatzten Lippen.
»Signore Ponti, wie viele Aufträge haben Sie mir in den letzten paar Jahren vermittelt? Elf? Zwölf, vielleicht? Nein, dreizehn, wenn wir diese Sache an Bord der Stromboli mitzählen. Mazzorbo wäre damit die Nummer vierzehn. Zwischen uns ist also eine Menge sorgsam aufgebautes Vertrauen den Bach hinuntergegangen. Das kann Ihnen doch nicht leichtgefallen sein. Und ganz bestimmt hätten Sie unser gutes Verhältnis nicht aufs Spiel gesetzt für jemanden, der Ihnen nicht mal seinen Namen – irgendeinen Namen – genannt hat.«
»Fünf ...«
»Wie bitte?«
»Fünffachen Preis ... gezahlt ...« Pontis Lider begannen zu flattern, aber erneut befreite ihn keine Bewusstlosigkeit von seinem Schmerz. »Dafür ... keinen Namen.«
Gillian kaute auf seiner Unterlippe. Der arme Ponti hatte zu einem solchen Angebot nicht nein sagen können, das sah er ein. Die Finger der anderen Hand würde das nicht retten, aber der Mann war auf tragische Weise in Versuchung geführt worden.
»Von Ihrer Nase ist nicht viel übrig«, sagte Gillian sanft, während er sich tiefer über das Gesicht des Bibliothekars beugte. »Die rechte Hand ist auch hinüber,
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