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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Fensterscheiben erkennen, einige zerbrochen und mit Brettern verschlossen.
    Noch ehe Sophia die Frage beantworten konnte, entdeckte Aura über dem Tor eine schnörkelige Schmuckschrift, die sie auf den ersten Blick für stilisierte Pflanzenornamente gehalten hatte.
    Empyreum.
    »Das größte Wagnis meiner Familie«, sagte Sophia mit einem Unterton von Zynismus. »Und die schlimmste Katastrophe, die die Octavians je zu verwinden hatten.«
    »Inwiefern?«
    Sophia zog ihren Pelzkragen enger. Ein kühler Wind strich über das Pflaster. »Das Gebäude, das früher dort stand, gehörte ebenfalls der Familie. Vor vierzig Jahren ist es abgerissen worden, um Platz zu schaffen für, nun, für das da — die Empyreum-Passage. Sie sollte ein wenig Pariser Glanz nach Prag bringen, ein ziemlich dreistes Plagiat der großen französischen Verkaufspassagen.« Sie schob die Hände in die Taschen des Wildledermantels. »Die Eröffnung war für 1892 geplant. Aber so weit ist es nie gekommen. Schon während der Bauarbeiten passierten allerlei Unfälle. Gleich mehrere Arbeiter sind von den Galerien gestürzt, einer sogar durch das Glasdach. Bei einer Begehung wurde der Assistent des Architekten von einer herabfallenden Eisenstange gepfählt. Es hat eine ganze Reihe solcher Vorfälle gegeben, und irgendwann wurde das Gerede zu laut. Die ersten Geschäftsleute, die Ladenlokale reserviert hatten, zogen sich wegen des schlechten Rufs wieder zurück. Daraus wurde ein regelrechter Exodus, bis schließlich keiner mehr übrig war. Zu guter Letzt brach ein Stück aus dem Giebel und krachte hinunter auf den Gehweg, mitten in eine Schulklasse. Das war der endgültige Todesstoß.
Die Octavians haben einen Totalverlust in Kauf genommen, das gesamte Vorhaben aufgegeben und den Eingang der Passage zumauern lassen. Seitdem ist dort drinnen nichts mehr verändert worden. Alles ist verdreckt und grau, die Schaufenster der Läden sind blind, die leeren Auslagen eingestaubt.«
    Aura folgte Sophia unter die Arkaden des Palais. Hier hatte der Abend bereits Einzug gehalten, das letzte Tageslicht blieb auf der Straße zurück. Sophia betätigte eine Glocke, und wenig später wurde die Tür von einem Diener in Livree geöffnet. Mahagonigeruch wehte ihnen entgegen. Der Mann war untersetzt und rundlich, sein Gesichtsausdruck feierlich.
    »Madame Luminique«, begrüßte er sie ohne Wärme. »Wie schön, Sie zu sehen.«
    »Guten Abend, Jakub.« Sie drückte ihm ihren Mantel in die Hand, aber ihr Blick wanderte an ihm vorbei durch die hohe Eingangshalle. Weiße Marmorstufen führten geschwungen auf eine Balustrade im ersten Stock. »Ich nehme an, meine Nachricht ist eingetroffen?«
    »Aber ja. Sie und Ihr Gast nehmen heute am Abendessen der Familie teil. Es ist alles vorbereitet.« Er wandte sich an Aura. »Herzlich willkommen im Palais Octavian.«
    »Vielen Dank.«
    Ein Dienstmädchen eilte herbei, machte einen flüchtigen Knicks und nahm Jakub die Kleidungsstücke der Besucherinnen ab.
    »Kein Begrüßungskomitee?«, erkundigte sich Sophia.
    Der Diener verbeugte sich beflissen. »Wenn Sie gestatten, werde ich sofort den gnädigen Herrn über Ihre Ankunft informieren.«
    »Was hat ihn bewogen, einen ganzen Abend lang den Freudenhäusern an der Moldau fernzubleiben?«
    »Das wird wohl die Aussicht auf die Begegnung mit Ihnen gewesen sein«, erwiderte Jakub.

    Aura fühlte sich unwohl, setzte aber eine unbewegte Miene auf.
    Nachdem der Hausdiener davongeeilt war, um seine Herrschaft über das Eintreffen der Gäste in Kenntnis zu setzen, sagte Sophia: »Er verabscheut mich. Aber trotz allem ist er ein aufrichtiger kleiner Mann. Er weiß sehr genau, was Ludovico an den Abenden treibt – wahrscheinlich sogar wo und mit wem. Genau wie er Estellas Vorliebe für den allersüßesten Portwein kennt, Severins Exzentrik erträgt und den Kindern – die keine Kinder mehr sind, aber ich nenne sie trotzdem so – den Arsch hinterherträgt, weil sie selbst nicht in der Lage dazu sind. Adam und Oda sind nicht gerade ein Ausbund an bürgerlichen Tugenden, und Selbstständigkeit ist ihre Sache leider gar nicht.«
    »Klingt nach einer Familie wie jede andere. Muss ich mir die Namen alle merken?«
    Sophia winkte ab. »Sie würden es dir ohnehin nicht danken.«
    An der Wand gegenüber dem Eingang hing eine außergewöhnliche Skulptur: Eine übergroße Frauenfigur aus Holz beugte sich aus der Täfelung in den Raum, so als hätte sie den Oberkörper durch eine Öffnung zum Nebenzimmer

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