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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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altmodischen Backenbart und hatte ein Muttermal auf der Stirn, schwarz und rund wie ein Einschussloch. Auf seiner Nase saß eine Brille, deren silbernes Gestell stark nachgedunkelt war. Er betrachtete Aura abwechselnd über den Rand hinweg und durch die winzigen Gläser.
    »Ich reise viel«, sagte sie mit einem Lächeln, »zum reinen Vergnügen, fürchte ich. Manch einer würde sagen, ich bringe das Vermögen meiner Familie durch.«
    Oda ließ ihre Kuchengabel auf den Tellerrand sinken. »Oh, genau wie —«
    »Oda!«, fuhr ihr Vater sie an. »Du sprichst nicht, solange du nicht gefragt wirst.«
    Oda zog eine Schnute. »Warum darf sie sprechen, wann sie will?«
    Adam Octavian meldete sich zu Wort: »Oda meint unsere ältere Schwester.« Er deutete hinüber zu einem leeren Platz an der Tafel. »Sie ist viel auf Reisen, überall in Europa. Wir hören nicht oft von ihr.«

    Severin rümpfte geringschätzig die Nase. »Manche Menschen halten es für wichtig, möglichst viel von der Welt zu sehen. Ich gehöre nicht dazu.«
    »Es mag Sie verwundern«, sagte Aura, »aber ich bin allmählich geneigt, Ihnen recht zu geben. Das Reisen wird allgemein überschätzt. Selbst die angenehmsten Hotels sind irgendwann nur noch Durchgangsstationen voller anonymer Gesichter.«
    »Nun«, sagte Severin, »wie ich schon sagte: Auf mich wartet Arbeit in der Werkstatt.«
    »Und was für eine Werkstatt ist das, in die es Sie zu so später Stunde noch zieht?«
    »Er ist Uhrmacher«, platzte Oda heraus.
    Ihre Mutter klatschte zweimal laut in die Hände. Oda presste die Lippen aufeinander und wurde feuerrot.
    »Wie interessant«, sagte Aura. »Wenn ich einmal Interesse an einer ganz besonderen Uhr habe, einer Standuhr, zum Beispiel, werde ich mich vertrauensvoll an Sie wenden, Herr Octavian.«
    »Den Uhrenbau habe ich schon lange aufgegeben. Die Mechanismen, mit denen ich mich heutzutage beschäftige, sind sehr viel kunstvoller.«
    Ludovico schnaubte abfällig, aber das blieb sein einziger Beitrag zu diesem Gespräch.
    Sein Bruder deutete zum Abschied eine Verbeugung vor Aura an, ignorierte Sophia wie schon bei deren Ankunft und verließ das Speisezimmer.
    »Adam«, sagte Estella, »bring bitte deine Schwester zu Bett.«
    Er nickte, faltete seine Serviette zusammen und erhob sich.
    »Eigentlich«, mischte sich Sophia ein, »wollte ich Adam bitten, unsere Besucherin und mich noch ein wenig herumzuführen.«
    Erneutes Grunzen von Ludovico und ein Lippentupfen von Estella, aber niemand widersprach.

    »Ich finde den Weg schon allein«, verkündete Oda, sprang auf und lief leichtfüßig aus dem Raum.
    Estella wandte sich an ihren Mann: »Sieh nach, ob sie wirklich auf ihr Zimmer geht.«
    Ludovico bedachte seine Gattin mit einem gelangweilten Blick. Dann kam er um den Tisch herum zu Aura, reichte ihr die Hand, nickte Sophia zu, ohne sie anzuschauen, und folgte seiner Tochter hinaus auf den Korridor.
    Adam stand blassgesichtig neben seinem Stuhl, eine Hand auf der Lehne. »Die Dunkelheit breitet sich immer weiter aus«, sagte er zu Sophia. »Ich weiß nicht, ob das ein guter Zeitpunkt ist, um Gäste durchs Haus zu führen.«
    Aber Sophia legte bereits ihr Besteck beiseite und erhob sich. »Ich bin sicher, Frau Institoris wird höchst fasziniert sein von allem, was es hier zu sehen gibt.«
    Aura war in Gedanken noch bei Standuhren und ihren Erbauern. »Vorausgesetzt, Frau Octavian hat nichts dagegen«, sagte sie höflich.
    Die Hausherrin hob die Hand zu einem Wink, der wohl Gleichgültigkeit signalisieren sollte.
    »Also«, sagte Sophia vergnügt, »machen wir uns auf den Weg.«
    Als Aura an Estella vorbei zur Tür gehen wollte, schossen plötzlich die Finger der Frau vor und packten ihren Unterarm.
    »Was –«
    Estella zog Auras Hand heran und starrte auf ihre Fingernägel. Auf die fünf lackierten Augen.
    Sophia aber hakte sich wortlos bei Aura unter und führte sie aus dem Salon.

KAPITEL 31
    »Was sollte das gerade?«, fauchte Aura, als sie neben Sophia die Marmortreppe in der Eingangshalle hinaufstieg. Adam ging ein paar Stufen vor ihnen und gab vor, nicht zuzuhören.
    »Was meinst du?«, erkundigte sich Sophia mit Unschuldsmiene.
    »Du hast mich doch nicht hergebracht, um einen netten Abend mit diesen Leuten zu verbringen.«
    Adam blickte über die Schulter. »Glauben Sie mir, das war ein netter Abend. Sie sollten mal einen von den anderen miterleben.«
    Sophia kicherte. »Adam!«
    »Verrate mir, was ich hier zu suchen habe«, sagte Aura,

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