Die Alchimistin 03 - Die Gebannte
Mitternachtstee saßen, fragte Aura: »Sie glauben also nicht, dass dieses Gliederkind die Präsenz ist, die Sie gespürt haben?«
»Auf keinen Fall.« Lucrecia stellte ihre Tasse ab. »Galathée geistert schon seit Jahren durch die Gassen der Kleinseite, sie hat nichts mit Ihnen zu tun.«
»Jedenfalls würde uns das wundern«, setzte Salome hinzu.
»Was ist es dann? Oder wer?« Aura überlegte kurz, dann erzählte sie den beiden von Gillian und Gian, die nach Jahren in ihr Leben zurückgekehrt waren.
»Hm«, machte Lucrecia, »das könnte es natürlich sein.«
Salome blickte in den Dampf ihrer Teetasse. »Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um etwas Entstofflichtes handelt, ist allerdings sehr viel größer. Dieser Traum letzte Nacht, von Ihnen und diesem ... Anderen – das war wie ein Alarmsignal. Ihr Sohn und der Hermaphrodit ... von beiden geht doch keine Gefahr für Sie aus. Mir scheint das nicht zwingend genug zu sein, um die Warnung bis zu uns vordringen zu lassen.«
»Sie wissen natürlich«, sagte Salome, »dass nicht alles, was wir hier treiben, ganz aufrichtig ist. Aber Sie kennen uns lange genug. Unsere Talente sind kein Schwindel. Wir inszenieren sie nur mit ein wenig Beiwerk für unsere Kundschaft. Oft genug stellen wir tatsächlich einen Kontakt her, doch die Leute glauben uns nur, wenn sie etwas zu sehen bekommen, ein wenig Rauch und diesen ganzen Zirkus, damit sie ihre Zweifel aufgeben und sich der Wahrheit öffnen können.«
»Aber Sie, Aura«, fuhr Salome fort, »Sie sind unsere Freundin. Wir spielen Ihnen nichts vor. Irgendwer hat es auf Sie abgesehen. Und die Tatsache, dass wir es selbst über eine solche Distanz gespürt haben, erst recht, nachdem wir uns Jahre nicht begegnet sind, zeigt, dass es sich höchstwahrscheinlich nicht um einen gewöhnlichen Menschen handelt. Gillian und Ihr Sohn mögen damit zu tun haben, aber sie sind nicht diejenigen, die Sie fürchten müssen. Und lassen Sie es mich noch einmal betonen: Sie sollten sich fürchten.«
Aura lehnte sich auf dem weinroten Samt einer Chaiselongue zurück. Die Wohnung war ebenso bis zum Bersten gefüllt mit Möbeln und esoterischen Gegenständen wie die Apartments der Kaskadens in Frankreich und Spanien. Es war, als wäre sie durch Zeit und Raum an einen Ort zurückgekehrt, der zehn Jahre in ihrer Vergangenheit lag. Talismane und Reliquien, religiöse Symbole aus Juden- und Christentum, fernöstliche Statuen und Räucherbecken, sogar ein Schachspiel, dessen Figuren aus kabbalistischen Zeichen bestanden, waren auf Kommoden, Beistelltischen, in Vitrinen und Setzkästen ausgestellt.
Inmitten all dieses Krempels stand ein Gerät mit einem geschwungenen Metalltrichter, ähnlich einem Grammophon. Allerdings gab es weder einen Plattenteller noch eine Nadel, nur mehrere Schalter und Regler aus Perlmutt. Der Kasten selbst bestand aus demselben dunklen Holz wie die Kommode, auf der er stand.
Salome bemerkte ihren Blick. »Thomas Edison hat diese Maschine gebaut, zu Anfang des Jahrhunderts.«
»Der Erfinder der Glühbirne?«
»Haben Sie gewusst, dass die Kommunikation mit den Toten sein ganz besonderes Steckenpferd ist? 1911 ist er von New York nach Europa gereist und hat eine Reihe großer Städte besucht, darunter im September ’11 auch Prag.«
»Er hat im Hotel De Saxe gewohnt«, sagte Lucrecia in einem Anflug von Schwärmerei, »im selben Zimmer wie vor ihm schon Pjotr Iljitsch Tschaikowski.«
»Dieses Ding« — Salome zeigte auf das Gerät – »hat er mitgebracht und behauptet, er könne damit die Stimmen der Verstorbenen aufzeichnen. Ganz Prag stand damals kopf. Es gibt eine Menge Leute, die in seinem Besuch den Auslöser für die Geisterbesessenheit sehen, die bis heute die Stadt im Griff hält ... Jedenfalls wollte er mit dieser Maschine dokumentieren, was die Toten der Nachwelt mitzuteilen haben.«
Aura zuckte die Achseln. »Nie davon gehört.«
»Weil das Gerät nicht funktioniert. Edison erklärte, es könne nur an ganz bestimmten Orten die Stimmen der Verstorbenen aufzeichnen. Orte, an denen sich die Wege der Toten kreuzen und dabei ektoplasmatische Energien freisetzen. Wie hier in Prag.«
»Aber natürlich hatte er trotzdem keinen Erfolg«, erklärte Lucrecia, »und seine Entourage beeilte sich, ihn davon zu überzeugen, das Ding loszuwerden und in Zukunft nie wieder öffentlich davon zu sprechen. Es ist durch mehrere Hände gegangen, aber schließlich konnten wir es aus dem Nachlass einer böhmischen
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