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Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Die Alchimistin 03 - Die Gebannte

Titel: Die Alchimistin 03 - Die Gebannte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ausgestreckten Händen, an denen mehrere Finger fehlten. Die Gestalt besaß keine Augen; stattdessen klaffte eine breite Wunde oberhalb der Wangen, reichte von einer Schläfe zur anderen.

    Die verstümmelten Klauen packten Innana, und die Wunde öffnete sich zu einem gewaltigen Schlund, der das Gesicht in zwei Hälften teilte. Die Schwarze Isis wurde hochgerissen und in das furchtbare Maul gestoßen, und noch während die Schädelhälften wie Kiefer mahlten, versank das Ungetüm im Blut und Aura erwachte.
     
    Als sie die Augen aufschlug, saß sie da wie in ihrer Vision, den Oberkörper aufgerichtet, die Beine auf dem roten Samt des Sofas ausgestreckt. Sie wartete nicht, bis jemand sie ansprach, sondern stand taumelnd auf, musste sich an einem roten Lampenschirm abstützen und an der roten Tapete entlangtasten. Im ersten Moment schien es, als wäre da niemand außer ihr, die Wohnung verlassen, die Welt noch immer in Blut getaucht.
    Aber dann rief eine Stimme: »Sie ist wach.«
    »Herrje, warum bist du denn nicht bei ihr?«
    Schritte näherten sich von zwei Seiten, als Aura in den Flur stolperte, kurz stehen blieb, um sich zu sammeln, dann mühsam weiterging.
    Hände berührten sie, aber Aura schüttelte sie ab. »Fassen Sie mich nicht an!«
    »Sie sollten noch sitzen bleiben«, sagte Lucrecia Kaskaden.
    Mitfühlender ergänzte Salome: »Sie müssen verwirrt sein. Sicher haben Sie Dinge gesehen, die Sie nicht auf Anhieb verstehen. Vielleicht wirkt auch der Tee noch nach.«
    »Was für ein Zeug war das?«, fuhr Aura sie an.
    »Nur etwas, damit Sie ruhig werden.«
    »Sie haben mich betäubt!«
    Lucrecia schüttelte energisch den Kopf. »Ich weiß nicht, was Sie in den letzten Nächten getrieben haben, aber allzu viel Schlaf können Sie nicht —«
    »Ich verschwinde jetzt.« Aura drängte sich zwischen den
Schwestern hindurch. Dabei stieß sie Lucrecia härter als nötig beiseite. Das Medium prallte ächzend gegen die Wand.
    Salome schob sich an Aura vorbei und blieb vor ihr stehen. »Was haben Sie gesehen?«
    »Geht Sie nichts an.«
    »Glauben Sie uns nun, dass wir die Wahrheit gesagt haben? Irgendetwas bedroht Sie. Sie sind in großer Gefahr!«
    Aura machte einen Schritt um Salome herum und erreichte die Wohnungstür. Die Messingklinke kam ihr riesig vor, genau wie die Tür selbst, so als wäre Aura im Schlaf auf die Größe eines Kindes geschrumpft.
    »Nun warten Sie doch!«, rief Salome hinter ihr her. »Seien Sie nicht so unvernünftig.«
    »Sie hätten mich fragen müssen!«, fuhr Aura sie an, riss die Tür auf und schwankte hinaus ins Treppenhaus. Durch ein Fenster fiel rubinrotes Licht. Ein Schatten lag auf den Stufen zum leer stehenden Dachgeschoss und züngelte zurück.
    Lucrecia drängte sich in die Haustür, neben ihre Zwillingsschwester. »Sie sind so unglaublich stur! Wir haben es nur gut gemeint.«
    Aura nahm die ersten Stufen nach unten. »Sie haben mir irgendein Zeug in den verdammten Tee gemischt, und es war Ihnen scheißegal, ob ich damit einverstanden bin oder nicht!«
    »Weil Sie es sonst nie im Leben zugelassen hätten!«, ereiferte sich Lucrecia.
    »Und das konnten Sie nicht akzeptieren?«
    In der Etage unter ihr wurde eine Wohnungstür aufgerissen. Jemand rief etwas auf Tschechisch; vermutlich ging es um die Uhrzeit, das Geschrei im Treppenhaus und um einen Anruf bei der Polizei, falls nicht auf der Stelle Ruhe einkehrte.
    Aura eilte die Stufen hinunter, passierte eine wüst schimpfende Frau im Morgenmantel und hielt erst im Erdgeschoss wieder inne. Wütend riss sie die Haustür auf. Die Morgenröte
leuchtete als glühendes Fanal über den Dächern der Stadt, die Sonne war noch nicht aufgegangen. Aura musste fünf, sechs Stunden im Wohnzimmer der Schwestern gelegen haben. Die Kaskadens hatten noch dieselben Sachen getragen wie am Abend und wahrscheinlich nicht geschlafen.
    Während sie am Ufer entlang zur Karlsbrücke lief, wurde sie mit jedem Schritt klarer. Auf der Moldau spiegelte sich der feurige Himmel. Von der Brücke aus kannte sie den Weg zum Hotel. Nicht mehr weit.
    Nur einmal schaute sie über die Schulter zurück, aber niemand folgte ihr.

KAPITEL 37
    Gegen Mittag erwachte sie von lautem Klopfen an ihrer Hotelzimmertür. Als sie öffnete, standen draußen zwei Polizisten. Einer war uniformiert, der andere trug einen langen Mantel und einen monströsen rotblonden Schnurrbart.
    Aura, barfuß und im Morgenrock, bat die Männer herein und bemühte sich, höflich zu sein.
    »Es ist fast

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