Die Aldi-Welt
dem bereits erwähnten Artikel 14 des Grundgesetzes auf eine Weise verpflichtet, die von den Albrecht-Brüdern ganz offensichtlich ignoriert wird.
Stifter haben entweder den Hang, durch ihre Taten der Nachwelt erhalten zu bleiben, oder sie ziehen die Anonymität vor. Der fundamentale Unterschied zwischen den Gebrüdern Albrecht und Reinhard Mohn: Der wählte für seine Stiftung den Traditionsfirmennamen, ohne sich und seine Rolle dahinter zu verstecken; Karl Albrecht wählte das Pseudonym Siepmann, während sich Theo hinter einem Evangelisten verbirgt. Der Prozeß, der zu dieser Entscheidungsfindung führt, ist bisweilen der gleiche. Noch einmal Joachim Fest: »Mitunter scheint es, als sei die Scheu vor der Öffentlichkeit, nachdem die eigene Person so ausdauernd hinter Firmennamen, Schachtelkonstruktionen, stillen Teilhaberschaften und Aktienpaketen verborgen worden war, geradezu habituell geworden.« Wo also ist die eigene Person geblieben? Verborgen hinter Schachtelbergen? Eingeschweißt in die Folie der Nichtzeitgenossenschaft? Stiften gegangen?
Gegessen wird immer, auch in Amerika
Aldi hat, was Verbraucher lieben. Keine europäische Verbraucherkultur hat sich nach Einschätzung des britischen Branchenkenners Mike Dawson, dem Discount made in Germany verschließen können. »Europas Verbraucher verstehen die universelle Botschaft von Discount auf Anhieb.« Man muß jetzt nicht allzuweit in die deutsche Geistes- und Ungeistes-Geschichte hinabsteigen, um dieser einen Hang zur universellen Botschaft konstatieren zu können. Und wer die Botschaft nicht auf Anhieb versteht, dem kann nachgeholfen werden.
Aldi ist auf einer anderen, weniger tiefschürfenden Ebene – wie die Fernsehserie Derrick – der deutsche Verkaufsschlager im Ausland. Nur hat im Inland von dieser Tatsache kaum jemand Notiz genommen. Der angestaubte, stets der finalen Beförderung entgehende Oberinspektor (»Fahr schon mal vor, Harry.« – »Ist gut, Stefan.«) gäbe ein prima Maskottchen ab für die wöchentliche Werbeblattaktion. Oberinspektor Derrick empfiehlt diese Woche: »Nudelgericht Grünwald, mit Bleikern, für zwei Personen, 1,49.« Nicht mit amerikanischem Glamour hat sich das Unternehmen nach oben gearbeitet, sondern mit bodenständiger Zielstrebigkeit, mit einem gewissen Muff und einem in letzter Konsequenz spießigen Habitus. Alles Sekundärtugenden, die auch zu Derrick passen; ja, die zu Deutschland schlechthin zu passen scheinen. Wie sonst erklärte sich der phänomenale Erfolg des TV-Kommissars in Japan, in Italien, in Lateinamerika? Und natürlich haben beide, Derrick wie Aldi, jenes Quentchen Glück, das sie stets auf die Gewinnerstraße setzt. Und Erfolg macht bekanntermaßen sexy.
Am deutschen Discountwesen wird dereinst die Welt genesen. Wenn da nicht die Konkurrenz wäre, auf die Aldi doch immer wieder mal stößt. In gewisser Weise begann der Discounter sich im kleinen Deutschland selbst auf die Füße zu treten. Anfang der achtziger Jahre war eine magische Grenze erreicht: Trotz ständiger Sortimentserweiterung und Gewinnmaximierung ließ das inländische Wachstumstempo nach. Ein unumstößlicher Grundsatz der Firmenphilosophie besteht in der Maxime: »Aldi – allein gegen den Rest der Welt.« Oder, um es mit Theo Albrecht zu sagen: »Es ist immer die Politik der Aldi-Gruppe gewesen, von innen zu wachsen.« Das schließt für den bundesdeutschen Markt den Zukauf von Konkurrenten aus. Wer weiß, ob dem Bundeskartellamt ein solcher Lebensmittelriese gefallen würde. Für das Ausland freilich erließen die Brüder andere Gesetze. Sie taten es, um mit Sinatra zu sprechen, auf ihre Weise. Irgendwohin mußte das viele Geld. Schließlich konnten die Pfennigfuchser im Jahr 1984 bereits auf einen (natürlich: geschätzten) Gewinn von 400 Millionen Mark blicken.
Sie blieben sich treu und begannen Europa unter sich aufzuteilen. Als erstes fiel Österreich – welch pikante Parallele – an den großen Bruder aus dem Norden. Dann war Dänemark dran, das sich Theo einverleibte.
Karl hatte aber wesentlich mehr Freude mit dem austriakischen Bruder. Anfang der achtziger kaufte er die junge Discountkette von Peter Hofer. Mit den im Piefke-Reich erprobten Methoden schmiedete er die Kette auf Erfolgskurs um. Dazu gehört auch, daß Karl Albrecht in ungewohnter Dezenz auf die Umbenennung verzichtete. Heute ist »der Hofer« (der bizarrerweise mit dem Aldi-Süd-Logo auftritt) mit über 190 Filialen das viertgrößte
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