Die Aldi-Welt
erweichte. Eine Freundin der Tochter von Ulrich Wolters verfaßte diese Arbeit, deren heißer Kern ein zwanzigseitiges Gesprächsprotokoll ist. Ulrich Wolters freilich ist kein geringerer als der oberste Feldherr des Südherrschers Karl Albrecht. Um der Tochter einen Gefallen zu tun, gab sich Wolter einen Ruck und plauderte für die Studentin ein wenig aus dem Nähkästchen. Sage noch einer, Aldi habe mit Wissenschaft nichts am Hut: Das wie ein Geheimdossier gehandelte Papier offenbarte »erstmals Betriebsgeheimnisse wie die Expansionsstrategie des verschlossenen Familienkonzerns« ( Wirtschaftswoche). Und wie wird expandiert? Schritt für Schritt, Land für Land. Abgestimmt auf nationale Eigenheiten. Es gebe, so Wolters, weder »ein vernünftiges internationales Sortiment« und also auch kein »identisches Grundsortiment für verschiedene Länder«. Sollte die Gleichschaltung im Zeitalter weltweiter Coca-Cola- und McDonaldisierung doch noch nicht soweit fortgeschritten sein, wie uns Kulturpessimisten in der Globalisierungsfalle gebetsmühlenartig leitartikeln?
Der Aldi-Manager Wolters setzt auf örtliche Hersteller und Lieferanten, hat sich aber vorsorglich die Handelsmarken europaweit schützen lassen. Aber so ganz überzeugt von der Europaidee scheint Wolters nicht zu sein, wenn er sagt: »Die Entwicklung zu einem Euro-Verbraucher wird sehr lange brauchen.« Solange heißt es für die Konzernlenker etwas Ungewöhnliches zu tun – dezentral verwalten. Ohne die Kenntnisse der nationalen Eigentümlichkeiten habe es keinen Sinn, ein nach deutschen Prinzipien genormtes Sortiment anzubieten; und auch die Preisgestaltung in den verschiedenen aldisierten europäischen Provinzen sei durchaus unterschiedlich: »Das Preisgefüge ist auf den nationalen Markt zugeschnitten. Es ist nicht grenzüberschreitend.« (Wolters). Der Einstieg gehe nicht ohne Opfer im Gastland ab: Aldi kauft eine Kette, nebst deren Manager und Läden, und krempelt sie nach seinem Vorbild um, um damit, so Wolters, »eine Basis zu haben, auf der man aufbauen kann«. So kann es schon vorkommen, daß Produkte unterschiedlicher Hersteller unter demselben Markennamen angeboten werden – die heimliche Umkehrung des Markentreueprinzips? Das scheint eine Frage der Zeit und des Organisationsschemas zu sein. Zentralisierung steht also doch bei den ausländischen Aldisierungsprogrammen an oberster Stelle. Die Regeln der Effizienz gelten auch jenseits der deutschen Grenzen.
Und Treue, das hat Wolters ebenfalls zu Protokoll gegeben – und damit indirekt bestätigt, was oben als »Grundehrlichkeit, Berechenbarkeit und Kontinuität« für einen guten Discounter reklamiert worden war –, ist für den Aldi-Kunden oberstes Prinzip. Es ist eine verschworene Gemeinschaft, die dem Markennamen Aldi verbunden ist, egal, was sich darunter verbergen mag: »Von allen Unternehmen, die im Konsumbereich werben«, habe Aldi »die größte Aufmerksamkeit«, freute sich Wolters. Im Gegensatz zum Konkurrenten Lidl nähmen 80 bis 90 Prozent der Konsumenten die Aldi-Werbung wahr.
Man kann die Aussagen dieses Topmanagers schon deshalb gar nicht hoch genug einschätzen, weil sie der dürstenden Fachöffentlichkeit als Offenbarung des heiligen Ulrich vorgekommen sein müssen. Wie wohl Kaiser Karl auf die Verlautbarung reagiert hat? Wie in allen guten Herrscherhäusern muß die Sache abgesprochen gewesen sein; ohne Karls Segen wäre die Chose nimmermehr ins Freie gelangt. Immerhin kann der Südlenker insofern zufrieden sein, als Adlatus Wolters seine Diktion perfekt beherrscht. Wolters hat zwischenzeitlich das Zepter übernommen; er ist auf den Stuhl von Karl Albrecht nachgerückt, als sich der aus Alters- und Gesundheitsgründen zurückzog. So wie es aussieht, ist mit Wolters ein in der Wolle gefärbter Aldianer ans Ruder gelangt. Alles andere wäre auch eine Sensation gewesen.
In welchem Labor wird der »Euro-Verbraucher« gezüchtet? Wer klont den Homo europeensis supermercatus? Wenn der Euro-Verbraucher aber erst einmal entwickelt ist, wird er das, was er braucht, bei Aldi kaufen. Vorausgesetzt, er hat die Möglichkeit sich überhaupt bis zum Aldi-Kunden zu entwickeln. Im europäischen Osten sieht es da zum Beispiel schlecht aus. Den armen Brüdern in Polen wird so mittelfristig die Aldi-Welt verschlossen bleiben, es sei denn, sie fahren zum Einkaufen über die Grenze. Ulrich Wolters gab jedenfalls zu Protokoll: »Discount braucht einen Gegenpol, und das ist der Supermarkt. Der
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