Die Aldi-Welt
ausgebaut. Was dort mit einem Phantasienamen verkauft wird, verbucht der Käufer insgeheim als Aldi-Marke, gleichgültig, was draufsteht. Hauptsache, der Inhalt geht in Ordnung. Spartanische Ausstattung der Läden, spartanische Ausstattung aber auch beim Personal. Führt zu einer, sagt die Betriebswissenschaft, großen Umschlagshäufigkeit, führt im weiteren zu den sogenannten Dauerniedrigpreisen, mit denen die Konkurrenz wie Supermärkte oder Selbstbedienungswarenhäuser nicht konkurrieren kann. Herstellbar ist das nur, wenn die Läden stark zentralisiert geführt werden, wenn Discounter als »straff geführte Filialketten« auftreten, wie eine Studie des Axel-Springer-Verlags aus dem Jahr 1994 feststellte. Und weiter heißt es dort lapidar: »Mit weitem Abstand ist Aldi die größte Discounter-Kette in Deutschland.« Ja, Aldi erwirtschafte allein die Hälfte des Umsatzes aller in Deutschland tätigen Discounter und sei deshalb ein »Hard-Discounter«. Hart ist Aldi bislang auch geblieben: Während die Konkurrenz fusioniert, aufkauft oder neue Betriebstypen entwickelt, geht Aldi mit unbeirrbarer Konsequenz seinen Weg. Die Brüder Albrecht bleiben bei ihren Leisten, experimentiert wird nicht mehr. In Zeiten, in denen der »Preis als Kaufentscheidungsparameter« (Branchen-Jargon) an oberster Stelle steht, gibt es dafür auch wenig Anlaß.
Aldi ist die Mutter aller Einkaufsschlachten. Im Mai 1996 veranstaltete die Lebensmittelzeitung, jenes Organ, das sich in Deutschland am kenntnisreichsten mit Aldi auseinandersetzt, zusammen mit einer Managementberatungsfirma ein gut besuchtes eintägiges Seminar, das sich der Frage widmete »Discount – Wohltat oder Plage?« Der Chefredakteur der Lebensmittelzeitung stellt dabei auf seiner Tour d’horizon durch die Discountgeschichte seit den frühen sechziger Jahren fest, Aldi habe ungestört »diesen vom Verbraucher gegen die herkömmliche Branchenmeinung akzeptierten Ladentyp beinahe im Alleingang« kultiviert. »Kultiviert« ist in diesem Zusammenhang ein Wort, das dem Orchideenzüchter Karl Albrecht bestimmt gefallen hat.
Chefredakteur Jürgen Wolfskeil weiter: »In Deutschland fällt der Aufstieg von Discount als Betriebsform zusammen mit dem Niedergang der Kultur des Vollsortiments.« Dann wurde er beinahe lyrisch: Der Vollsortimenter – also das herkömmliche, rundum als Lebensmitteleinkaufsquelle ausreichende Haus – beruhe auf der Balance zwischen Qualität, Auswahl, Service und Preis. Der Discounter setze dagegen ausschließlich auf den (niedrigen) Preis; eine nicht sonderlich intelligente, kreative Form des Verkaufs. Durch die verheerende Dumpingpreis-Politik stünden die Hygienestandards und Qualität der Waren auf dem Spiel. Ein Redakteur der Lebensmittelzeitung wagte gar die These, die Ausbreitung des Discounts führe zu einer Minderung der Qualität: erst komme das Fressen, dann die Moral.
Naturgemäß war kein Vertreter der Firma Aldi bei dieser Veranstaltung zugegen, jedenfalls nicht als offizieller Referent. Immerhin ein Dissident des Imperiums berichtete von seinen Erfahrungen. Ex-Aldi-Manager Thomas Roeb widersprach der These, Discounter schielten allein nach Niedrigstpreisen, sondern suchten ihr Finanzheil in der Optimierung des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Was im Klartext heißt: Discounter kann faszinierend sein, wenn er ein Einkaufserlebnis bietet. Und das tut der Discounter nicht durch opulente Inszenierung, sondern durch den Sog der Schnäppchen. Thomas Roeb: »Die Fülle von unterschiedlichen, ständig wechselnden Artikeln ist genauso erstaunlich wie die Preise und beschert den Konsumenten immer wieder glänzende Augen.« Wer hätte das gedacht: glänzende Verbraucheraugen, glänzende Umsätze. So einfach kann Discount sein. Und weil dem so ist, hat der Discounter in den Augen der Kunden auch urgermanische Tugenden wie »Grundehrlichkeit, Berechenbarkeit und Kontinuität«, wie der Rewe-Manager Emil P. Heinz diagnostizierte. Über diese Diagnose wird noch zu sprechen sein. Lassen wir es vorläufig dabei bewenden und verlassen das Seminar, das die Discountvertreter zum Selbstlob und die fanatisierten Kritiker zur Schmährede nutzten. Glaubt man den einen, birgt der Discounter die einzig dem Kunden gemäße Form des Einkaufs: Vom Schmalspur- zum Schnelldrehersortiment, das Bedarfsdeckung erlaubt. Hört man auf die anderen, kaufen wir demnächst in zwar total billigen, aber auch ziemlich verdreckten Läden minderwertige Ware. Zu spät, zu spät,
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