Die Aldi-Welt
braucht. Fütterung der Primärbedürfnisse. Sättigungsbeilagen, Brot, Nudeln, Reis, Kartoffeln, Molkereiprodukte, Konserven, Essig, Öl, Butter, Margarine, Zucker, Mehl. Der Rest ist schon Zugabe, Konzession: Das Kernsortiment umfaßt bei Aldi Süd noch heute 450 Artikel, und wer damit nicht auskommt, muß ein Verschwender sein. Aldi Nord setzt auf bis zu 600 Artikel, das ist vermutlich dem toleranten, weltoffeneren Norden zuzuschreiben, oder es ist einfach der Zug der Zeit, der nicht beim kargen Grundsortiment verweilen konnte. Die Präsentation des Angebots spottet in unserer bunten Konsumwelt jeglicher Beschreibung. Die Ware steht in Kartons auf orangefarbenen Stahlregalen. Zwar wird die Pappe aufgeschlitzt, aber wenn der Kundenandrang zu groß ist, besorgt diese Arbeit schon der Kunde selbst. Wer sich an die Anfänge der Aldi-Discounter erinnert, wähnt sich heute ohnehin in einem Einkaufsparadies. Der Nachkriegscharme hängt freilich quasi imaginär zwischen den Regalen; man bedenke, daß noch Anfang der achtziger Jahre keine frischen Waren im Angebot waren – so konnte auch nichts verderben. Das war Sache der Kollegen vom Lebensmitteleinzelhandel, die sich nach offizieller Lehrmeinung mit ihren Frische-Abteilungen deswegen gern in der Nähe von Aldi ansiedelten.
Bestimmte Artikel haben, je nach sozialem Umfeld, längst Kultstatus erlangt. Sozusagen eine der Aldi-Urkonserven ist der »Feuerzauber Texas«, in studentischen Haushalten ein unverzichtbarer Magenfüller, der sich souverän gegen die Maggi Ravioli behauptet hat. Wer mag schon umständlich Chili con carne einkochen, wenn der Büchsenöffner so nahe (und Mutters Kochkunst so fern) ist? Reißenden Absatz findet in bestimmten, aufgeklärten Kreisen das Olivenöl (Lorena, 5,59), das, mit dem Aufkleber »Stiftung Warentest: Sehr gut« versehen, in vielen modernen Küchen zum Standardöl avanciert ist. Das Waschmittel Tandil ist schon seit Jahrzehnten Legende, auch dieses Produkt schlägt in Preis und Qualität die Konkurrenz um Längen – sagen die Aldianer, die von Tandil nicht zu trennen sind. An der deutschen Rostbratwurst soll die Welt genesen; bei Aldi kommt sie nicht aus Thüringen, wie es sich für einen gesamtdeutschen Discounter eigentlich gehörte, sondern aus der Lebkuchenmetropole Nürnberg (12 Stück, 2,99). Dem Chianti Villa Alberti (3,99, nur bei Aldi Nord) sind schon selbsternannte Weinkenner auf den Lehmboden gegangen, und daß neuerdings Baumkuchen verkauft wird, läßt die Vermutung zu, die Tage des Imperiums neigten sich in den Zustand der Dekadenz hinüber. Darauf deutete als Warnsignal der sensationelle Erfolg des ersten erschwinglichen Champagners der Welt hin, den Aldi für 15,98 mit verächtlicher Geste unters Volk warf. Fehlte nicht viel, und das edle Getränk wäre zum Piccolo-Ersatz bei Kaffeekränzchen geworden. Nähern sich Festtage wie Weihnachten oder Silvester, tut man gut daran, sich rechtzeitig mit dem billigen Schampus einzudecken. Wer zu spät kommt, der erntet nur ein müdes Achselzucken (falls ein Filialleiter vorbeikommt) beziehungsweise ein – wenn ausnahmsweise das schiefe Bild erlaubt sei – deutliches Kopfschütteln des gähnend leeren Regals.
Für den echten Aldianer ist in den letzten Jahren immer mehr die Hardware ins Blickfeld geraten. Sachen, die man eigentlich nicht bei einem Lebensmitteldiscounter vermutet, die einem aber plötzlich als unbedingt erstehenswürdig erscheinen. Wer erinnert sich nicht gern an die Zeiten, als keine Woche verging, in der nicht die großen Computerhäuser wie Vobis, Media-Markt oder Escom mit Dumpingangeboten nur so um sich warfen. Riesenhafte rote Anzeigen, Beilagen und Prospekte quollen aus allen Tageszeitungen, Magazinen und Wochenblättern. Jetzt, da dieser Markt offenbar nicht mehr in dem Tempo mit Wachstumsraten gesegnet ist, fällt im Rückblick jene Aldi-Aktion von Anfang Mai 1996 als legendärer Verkaufsklopper ins Auge des Konsumhistorikers. Unter dem Namen »Medion« wurde ein 586er PC mit Cyrix-Prozessor angeboten, ein Riesentrumm Rechner, mit Monitor, Software und Spielen zum Preis von 1998 Mark. Fachleute erkannten darin sofort einen Markenrechner aus dem Hause Peacock. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung widmete dem Volkscomputer aus dem Hause Aldi eine umfängliche Rezension im diensttäglichen Technikteil – und kam nicht umhin, das Ding kräftig zu loben. Ein besonderes Schmankerl war freilich der dazu angebotene Drucker, der unzweifelhaft vom namhaften
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