Die Aldi-Welt
geraten pflegt, wenn das Kulturgut Buch bedroht ist: in einen Zustand öffentlicher Erregung. Gefährdet war vor allem die heilige Kuh des deutschen Buchhandels, die Preisbindung. Eine Keule, die in der Buchbranche mit schöner Regelmäßigkeit geschwungen wird. Aber Staudinger konnte damals zu seiner Verteidigung vorbringen, bei allen Büchern habe es sich um längst abgefrühstückte Ladenhüter gehandelt.
Im Rückblick läßt sich feststellen, daß die Aufregung damals umsonst war: Die Aldi-Ramschaktionen haben dem Buchhandel wohl weit weniger geschadet als eine andere Entwicklung, die damals begann: der Buch-Handel der großen Kaufhausketten wie Karstadt, Kaufhof und Hertie, Andererseits zeigt ein Blick ins Ausland, daß Discount und Supermarkte dem Buchhandel tatsächlich weh tun können. In England, wo 1995 die Preisbindung kollabierte, das sogenannte »Net Book Agreement«, sind die Supermarktketten wie »Woolworth« und »Sainsbury« die großen Gewinner. Sie verkaufen palettenweise die aktuellen Bestseller für teilweise 30 Prozent unter dem Preis, den eine traditionelle Buchhandlung dafür nimmt. Resultat für den Buchmarkt: Taschenbuch-Lesefutter amerikanischer Provenienz à la Grisham, Steele, Clancy boomt, das gebundene, anspruchsvolle Sachbuch fällt durch.
Ein Traum, den jeder (ernsthafte) Verleger träumt, ist, das Anspruchsvolle unter die Massen zu bringen. Die Vision »Suhrkamp meets Aldi« hat schon deshalb für einen Leser, der rechnen kann, enorme Sogkraft und beachtliches Überzeugungspotential. Einmal, zur Buchmesse 1981, schien diese Vision Wirklichkeit zu werden. Damals war eine Broschüre aufgetaucht, in der Dr. Dr. h. c. mult. Siegfried Unseld, der Suhrkamp-Verleger, eine Zusammenarbeit mit Aldi ankündigte. »Diese an sich unerwartete Kooperation«, schrieb Unseld, »zweier so verschiedener Unternehmer mag Fragen aufwerfen, kritische wie Verständnis heischende.« Aber warum nicht? Schließlich, so der selbstbewußte Kopf des vornehmen Verlages weiter: »Mit Brecht zu sprechen«, möge das gute Buch »demokratisch im weitesten Sinn sein«. Die exklusiv mit Aldi vereinbarte Reihe sollte »edition sual« heißen, 25 Titel umfassen und ausschließlich in Aldi-Märkten feilgeboten werden – in der dort üblichen Verpackung.
Nach dem Grußwort von Dr. h. c. Albrecht, das ausdrücklich die Verbrüderung von Geist und Geschäft begrüßte, wurde freilich schnell klar, daß es sich um einen Jux handelte. Peter Handke war beispielsweise mit dem Roman Höchlichste Heimat (»intrikate Prosa aus hohen Jahren«), der Psychoanalytiker Tilmann Moser mit Die Syntax der Bohrung. Psychoanalyse des Heimwerkers vertreten, und Kulturkritiker Fritz J. Raddatz war mit einem Band Praktisch überall (»Leinenimitation, 4,80 Mark«) angekündigt – Protokolle der »vom Autor ausnahmslos verlorenen Golfpartien mit Walter Scheel, die Horst Tappert (Derrick) für die edition sual aus dem Gedächtnis aufgezeichnet hat«.
Erfunden hatte die Schmonzette – zum Ärger des nicht übermäßig humoranfälligen Unseld – ein Mitarbeiter der linksalternativen Tageszeitung taz. Sarkastisches Ansinnen: der damals sich bereits arg jenseitig gerierenden Suhrkamp-Kultur (Paradigmenwechsel auf Zuruf) eine reinzuwürgen. Das gelang ganz gut und hatte Anfang der achtziger Jahre noch wesentlich mehr Witzpotential als heute. So zum Beispiel Ein transformatives Kochbuch aus der Feder des berühmten US-Linguisten Noam Chomsky, oder Roland Barthes Essay Im Reich der Dosen beziehungsweise das erste Gemeinschaftwerk des Psychiaters Felix Guattari und des Psycho-Historikers Klaus Theweleit: Aldi-Ödipus.
Der potentielle Megaseller sollte freilich aus dem Nachlaß des Philosophen Theodor Wiesengrund Adorno kommen: Temperaturen. Studien zur Physiognomie der Feinbackkunst. Darin heißt es »Im Feinbackwerk verdampft der Tauschwert zum Ornament dessen, worüber er zu herrschen sich einst anheischig gemacht hatte. Wer der Patisserie sich nicht stellt, weil er dem zerrütteten Begriff des Niveaus sich beugt, verfehlt das an der Kunst Wesentliche: ihre Verfallsgeschichte.« Das war erstens komisch und zweitens ziemlich auf den Punkt gebracht, was heute unverändert Geltung hat. Niemand kennt die Verfallsgeschichte des Konsums besser als die Herren Albrecht. Ihr Schnelldreherimperium ist naturgemäß auf den feinen Riecher angewiesen, der sogleich merkt, wenn ein Kulturträger in den Status der Ramsch-Würdigkeit tritt. Quod erat
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