Die Aldi-Welt
Landnahme. Auf gleicher Ebene angesiedelt sind PVL, LZ und E – womit im ersten Fall Buchhaltung, Personalbüro und EDV gemeint sind, im zweiten der Leiter des Zentrallagers (mit Warenannahme, Fuhrpark, Sammellager) und im dritten der Einkäufer, der all die schönen Dinge aus aller Welt herbeischafft. Darüber gibt es nur den VL alias Verkaufsleiter und ganz oben den GF, den Geschäftsführer.
Sämtliche Filialen der derzeit 33 Gesellschaften, die sich zu Aldi Nord fügen, operieren ausschließlich mit diesen Kürzeln; die Filialen heißen Verkaufsstellen, haben Nummern und werden im internen Verkehr nur mit dieser adressiert. Als ideale Größe einer Gesellschaft gilt im Augenblick eine Filialzahl zwischen 50 und 70. Wird diese Größenordnung überschritten, ist es an der Zeit eine neue Gesellschaft zu gründen – wegen Wahrung des Publizitätsgesetzes.
Formal gelten die Geschäftsführer als die Entscheidungsträger, in Wirklichkeit sind sie wohl eher die Befehlsempfänger der Essener Zentrale. Dort, bei der Aldi Nord OHG, versammeln sich die GF im Sechswochenrhythmus, dort nehmen sie auch die neuen Preislisten entgegen.
Die Einkommensverhältnisse sind für ein Unternehmen dieser Gewinnspanne eher schwachbrüstig. Geschäftsführer werden mit 250000 bis 350000 Mark pro Jahr entlohnt, die Ebene Verkaufsleiter, Leiter des Zentrallagers und Personalwesen bringen es auf 120000 bis 180000 Mark p. a. Einkäufer sind bei rund 110000 Mark angesiedelt, ein Bezirksleiter erhält zwischen 70000 und 100000 Mark – plus Dienstwagen plus privates Telefon.
Ein Filialleiter liegt mit einem Grundgehalt von 5000 Mark im Monat knapp über dem Tarifgehalt; er bringt es im Jahr auf 68000 Mark. Eine Aldi-Verkäuferin in Berlin hat derzeit (Stand Anfang 1997) ein Grundgehalt von 3188 Mark plus 400 Mark Prämie. Die Gehälter der oberen Ebenen werden jedes Jahr neu verhandelt und richten sich nach dem Ergebnis der Inventur. Diese alljährlich einmal im großen Stil durchgeführte Sichtung der Bestände hat im Einzelhandel rituellen Charakter; ein »Wegen Inventur geschlossen«-Schild ist jedoch an einer Aldi-Filiale schwer vorstellbar. Die Fehlbestände sind dort ohnehin – Ausfluß der extremen Kontrolle auf allen Ebenen – nicht anders als marginal zu nennen.
»Aldi-Süd sucht Management-Trainees.« Eine Anzeige mit diesem Text erscheint immer wieder mal in überregionalen Tageszeitungen; sie richtet sich an Absolventen von Hochschulen und Fachhochschulen und eröffnet einen »Karriere-Start im Einzelhandel«. Erwartet werden Bewerber nicht älter als Ende Zwanzig, die über deutlichen Leistungswillen und ausgeprägtes kaufmännisches Bewußtsein verfügen. Geboten wird ein sehr ordentliches Anfangsgehalt, ein neutraler Firmenwagen sowie gute Aufstiegschancen. 50 bis 60 Hochschulabgängern soll so im Schnitt pro Jahr die Chance einer Aldi-Laufbahn eröffnet werden – folgt man den Erkenntnissen der Branchenpresse, bleibt davon pro Jahrgang ein Berufseinsteiger übrig. Ein Großteil der Wirtschaftswissenschaftler kündigt bereits nach drei Monaten. Einstimmige Begründung: Die tatsächlichen Arbeitsbedingungen hätten mit der Stellenanzeige kaum etwas gemein. In vielen Fällen münde die Beschäftigung in körperliche Schwerstarbeit. Aldi – the hard way? Durchaus. Das Traineeprogramm sieht zunächst eine einmonatige Ausbildung durch einen Bezirksleiter vor. In einem dreiwöchigen Crashkurs werden die Frischlinge auf die Vertretung eines Filialleiters vorbereitet. Dann kommt die Feuerprobe: Der Trainee übernimmt drei Filialen in Eigenregie, jeweils für sechs Wochen. Daran schließt sich eine weitere Schulung durch einen Bezirksleiter und ein einmonatiges Gastspiel in der Zentrale an. Vier Monate des Traineejahres sind für Urlaubsvertretungen reserviert. Im Klartext: Nach kurzer Zeit muß der leistungswillige Berufsanfänger eine Aldi-Filiale leiten können, das heißt, er muß auch sämtliche Preise im Kopf und in der Hand haben (damit er sie an der Kasse blind eintippen kann). Auch sonst sollte der junge Mann/die junge Frau nicht allzu zart besaitet sein. Umgang mit dem Hubwagen für Palettennachschub wird ebenso vorausgesetzt, wie Regale nachfüllen, Boden wischen, Kassenabrechnung, Arbeitsplan etc. – nur die Einkaufswagen zusammenschieben muß man nicht können; das erledigt ja der Kunde selbst. Selbstverständlich werden keine Überstunden bezahlt, und von denen hat der Trainee (wie alle anderen ja auch) reichlich
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