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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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abzureißen. Wer das eine Jahr durchhält, wird in der Regel als Bezirksleiter eingesetzt, mit Aufsicht über sechs bis neun Filialen. Nach Meinung von Betroffenen ist es dann für die meisten mit der Karriere bei Aldi aber vorbei – nur die wenigsten schaffen den Sprung in die (zahlenmäßig dünn gesäte) nächste Ebene. Die Aufgaben des Bezirksleiters, da sind sich Insider einig, machen ein Hochschuldstudium nicht unbedingt nötig: Ein BL kontrolliert das Erscheinungsbild seiner Filialen, koordiniert seine Filialleiter, führt Urlaubslisten, stellt Personal ein und aus, entscheidet über Reparaturen. Praktisch denkende und zupackend handelnde Einzelhändler sind dort eher gefragt als verkopfte Betriebswirte. Einen Trost haben Aussteiger aber auf jeden Fall: Sie waren bei Aldi. Wer durch diese harte Schule erfolgreich ging, ist für die Konkurrenz interessant. Es wird unterstellt, diese Leute hätten arbeiten gelernt. Sehr vermutlich zu Recht.
    Hierarchen brauchen Schmusetiere in Form von Statussymbolen. Jedem Manager sein Tamagotchi aus Stahl, Leder und Gummi. Zu füttern mit Superbenzin und Mehrbereichsöl, regelmäßiges Schamponieren inbegriffen. Höchstes Ansehen genießt immer noch der fabrikneue Dienstwagen (und nicht die Grüne Karte für den Verkehrsverbund). Die Feinabstufungen im Dienstwagenwesen wären einmal eine Doktorarbeit in Kulturanthropologie wert. Das verästelte System der Mehrwertigkeit reicht bis in Details der Ausstattung hinein. Verzichtet einer auf das ihm zustehende Modell – sagen wir: ein Mercedes der S-Klasse – und will statt dessen die kleinere E-Klasse mit höherwertiger Ausstattung, beginnen die Probleme. Bei Aldi-Nord ist die Dienstwagenfrage naturgemäß strikt und einheitlich geregelt. Großen Spielraum gibt es nicht. Für die Geschäftsführer darf es ein Mercedes Benz 260 sein, wahlweise in den Firmenfarben dunkelblau oder weiß. Ein Autotelefon ist verpflichtend, Ledersitze dagegen gibt es nicht. Wahlmöglichkeit besteht noch zwischen Automatikgetriebe oder Gangschaltung. Die Ebene VL, E und OA chauffiert einen 220er Mercedes, eine Etage darunter gibt es dann eine Passat Limousine (früher Audi 80). Extrawünsche, wie etwa ein Holzlenkrad, gehen auf eigene Rechnung. Die Bezirksleiter müssen einen Passat Kombi fahren – wegen zu erwartender Materialtransporte zwischen den Filialen. Dieses Fahrzeug kann wahlweise mit Schiebedach oder Klimaanlage ausgestattet sein, beides zusammen ist nicht vorgesehen.
    Wer wie die Brüder Albrecht selbst aus dem Nichts kommt, hat bei Aldi immer noch ganz ordentliche Chancen, sich im Rahmen des Systems nach oben zu strampeln. Vom V zum BL – eine solche Laufbahn ist durchaus drin: Arbeitswütige schaffen es vom Packer bis zum Passat Kombi, in seltenen Fällen auch weiter. Der Preis für den Aufstieg ist freilich nicht zu unterschätzen. Wer einmal diese starren Strukturen internalisiert hat, ist durch eine Art Gehirnwäsche gegangen, für die das Label »corporate identity« eine unzureichende Bezeichnung wäre. In dieser Männerwelt sind Frauen nicht vorgesehen. Ihnen ist der Weg nach ganz oben, in die Ebene Geschäftsführer, (bislang) versagt geblieben. Das verhalte sich, gab ein Kenner des Hauses zu verstehen, ganz wie in der katholischen Kirche: Weibliche Priester gibt es nicht.
     
     
    Management by Mißtrauen
     
    Denn es wird kommen der Tag, da sich Gottvater herabläßt in die Niederungen seiner Gläubigen und einer Verkaufsstelle seines Reiches einen Besuch abstattet. Gefürchtet waren diese Besuche, wenn Theo oder Karl Albrecht sich aufmachten, mal wieder persönlich nach dem Rechten zu schauen. Damit die Parade auch festlich genug ausfallen konnte, erhielten solchermaßen erwählte Filialen einen gnädigen Hinweis aus der Konzernzentrale (wie das bei all den Verkaufsstellen funktionierte), die immer noch kein Telefon haben – per Brieftaube?). Es sollte die lieben Mitarbeiter ja nicht ganz unvorbereitet treffen. Und so wurde der Laden auf Hochglanz gewienert, damit der Allmächtige Wohlgefallen finde am Wirken seiner Schafe. Ob es da möglicherweise eine Parallele zu den Potemkinschen Dörfern gibt, die für die großrussischen Herrscher errichtet wurden, sei dahingestellt. Ein höfisches Ritual war es allemal, in einem ansonsten profan-merkantil regierten Reich. Bei solchen Gelegenheiten kam es schon vor, daß ein FL einen Rüffel von Herrn A. kassierte, weil er beim Büromittelbedarf ein paar Kugelschreiber zuviel

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