Die Aldi-Welt
Kassenfrau so etwas übersieht, hat Ärger am Hals. Gleiches gilt für die Filialleiter, denen man zu Überprüfungszwecken mal eben eine Palette nicht angeforderter »Krabben in Knoblauchsauce« in die Lieferung gesteckt hat. Fällt dem Filialleiter das Kuckucksei nicht auf, hat er erstens Erklärungsbedarf, zweitens kann man ihm Betrug unterstellen, weil er den Überbestand bis zur nächsten Inventur mitschleppt und kaum eine Gelegenheit hat, seine Bilanz zu reinigen.
Immer wieder angewendet wird die Methode des unterstellten Diebstahls. So wurden unliebsame Mitarbeiter beim Verlassen des Ladens kontrolliert und mußten feststellen, daß sich in ihrer Tasche eine Leberwurst befand. Einem besonders eifrigen Bezirksleiter aus der Berliner Gegend ist 1987 das Kunststück geglückt, in einer Filiale aus Versehen seinen Personalplan 1988 liegenzulassen. Dem konnte man entnehmen, wer im nächsten Jahr entlassen werden sollte. Die Begründungen waren bereits schriftlich skizziert. Eine davon hieß zum Beispiel »Verdacht auf Diebstahl«.
Der Feind, die Maßnahmen gegen die eigenen Mitarbeiter zeigen es deutlich, wird bei Aldi in den eigenen Reihen gesucht. Ladendiebstahl ist bei allen Konkurrenten des Discounters, in der Lebensmittelbranche allgemein, ein ernsthaftes Problem. Nicht so bei Aldi. Das mag daran liegen, daß Aldi noch von einem Ruf zehrt, der stark nach Geheimdienstmethoden duftet. Legendär sind auch heute noch die Aldi-Läden mit den Geheimgängen hinter den Regalen. Durch falsche Spiegel konnten so die Kunden in Augenhöhe vom Filialleiter kontrolliert werden. In verspiegelten Kommandozentralen über dem Kassenbereich befindet sich in vielen Märkten das kleine Büro des Filialleiters. Die Kasino- und Puffrequisite ist so anachronistisch, daß sie angesichts einer flächendeckenden Video-Überwachung beinahe liebenswürdig schrullig wirkt. Die Kameras sind natürlich auch in Aldi-Märkten Standard; die Zeiten, in denen sich irgendwer darüber beklagt hätte, sind längst vorbei. Im Namen der Sicherheit geschehen dem gläsernen Kunden wunderliche Dinge.
Daß die Diebstahlsquote bei Aldi so verschwindend gering ist, hat noch eine andere Ursache. Als Aufpasser fungieren nämlich ehrenamtlich sämtliche Mitarbeiter, geködert von einem Bonussystem. Wer einen Ladendieb ertappt, erhält bei einem Warenwert von unter 20 Mark sogleich 20 Mark netto gutgeschrieben; liegt der Wert der entwendeten Ware über 50 Mark, klingeln 50 Mark in der Mitarbeiterkasse. Wer auf Zack ist und Ladendiebe stellt, ist sich des Wohlgefallens der Oberen sicher. Umsicht und schneller Zugriff wird als Ausdruck von Führungsqualität gewertet. Hinweise darauf, daß der Feind tatsächlich in den eigenen Reihen sitzt, gibt es seit der Öffnung der Grenzen nach Osten. Das Schreckgespenst des Kalten Krieges hat sich angesagt: Der Russe kommt – und er will vor allem Salzstangen, Chips, Erdnüsse, Kekse und Schokolade. Und das nicht in haushaltsüblichen Mengen. Der Russe kommt mit Sattelschleppern und fährt nicht mehr vor eine Filiale, sondern gleich in ein Aldi-Regionallager, direkt an die Rampe. Das berichten jedenfalls Aldi-Experten aus dem Berliner Raum. Natürlich sei es den Mitarbeitern streng verboten, ab Rampe zu verkaufen: Nicht nur die ganze Disposition geriete durch solche Basar-Mentalität in Gefahr, die Sache sei von ganz oben strikt untersagt worden, um jedwede Eigenmächtigkeit zu unterbinden. Natürlich sei es pro Palette zu Schmiergeldzahlungen gekommen, natürlich habe es Abmahnungen gegeben. Der ideologische Hintergrund sei, daß Aldi die extrem auf Hamsterkäufe im großen Stil spezialisierten Polen und Russen keinesfalls als Kunden haben wolle, die dann in ihren Heimatländern als Wiederverkäufer aufträten.
Während die Bezirksleiter ihr Mobbing an der Mitarbeiterfront noch persönlich, sozusagen von Mann zu Mann, im Infight lösen müssen, ist der auf sie ausgeübte Druck bereits auf weißem Papier fixiert. Das probate Mittel heißt BUS, Bezirksleiterübersicht. Diese Leistungsbilanz schlüsselt bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma auf, welche Umsätze mit welchem Personalaufwand und wievielen Krankentagen in den jeweiligen Gesellschaften erreicht wurden: Im direkten Vergleich mit der hausinternen Konkurrenz gibt es für den einzelnen Bezirksleiter, der womöglich saisonal bedingt ins Hintertreffen geraten ist, kein Pardon. Und vor allem keinen Ausweg. Das Blatt ist so einfach wie unbestechlich: auf einer
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