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Die Aldi-Welt

Die Aldi-Welt

Titel: Die Aldi-Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Hintermeier
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angefordert hatte. Das wolle er, soll Theo Albrecht gesagt haben, schon mal genau wissen, wie man mit vier Stiften gleichzeitig schreiben könne.
    Wer als niedriger Hierarchling dergestalt getreten wird, tritt allzugern nach unten weiter. Die Ideologie der starren Hierarchien, Mobbing als Führungsprinzip, führt zu einem überdeutlich ausgeprägten Respekt vor der nächsthöheren Ebene. Eine besonders wichtige Position besitzen im unteren Spektrum der Pyramide die Bezirksleiter, die meist aus der Filialleiterebene aufgestiegen sind. Das stellt sicher, daß ihnen jeder Trick aus der Schachtelperspektive bekannt ist, und peitscht sie gleichzeitig zu immer größeren Ausquetschungsmaßnahmen – das System ist seit den römischen Statthaltern hinlänglich erforscht. Es gibt Gewerkschaftsvertreter, die den Bezirksleitern unumwunden kriminelle Energie unterstellen, in der Art und Weise, wie sie Filialleiter gegeneinander ausspielen, wie sie Arbeitszeiten verlängern und Mitarbeiter unter Druck setzen. Zwei Instrumente stehen dem Bezirksleiter zur Verfügung: das »Kritikgespräch« und der »Besuchsbericht«.
    In den personell chronisch unterbesetzten Aldi-Märkten wird ständig jede freie Hand gebraucht: zum Auspacken und Einräumen der frischen Ware, zum Nachsortieren und Wegschaffen der achtlos fortgeworfenen Umverpackung, zum Betrieb sämtlicher Kassen in Spitzenzeiten. Der Filialleiter ist da Mädchen für alles, der schon mal einspringt beim Bodenwischen, der aber auch dafür verantwortlich ist, daß die Tageseinnahmen – möglichst vor Einbruch der Dunkelheit und auf wechselnden Routen – die sichere Bank erreichen. Das ist kein Kinderspiel, seit in den letzten Jahren in großstädtischen Ballungsräumen die Gewaltbereitschaft zugenommen hat, sprich Überfälle auf derartig schutzlose Geldtransporte zugenommen haben.
    Nach interner Sprachregelung arbeiten die Filialleiter lediglich die tarifvertraglich festgesetzte Stundenzahl 37,5 Stunden. Der Rest der (offiziell gar nicht geleisteten) Arbeitszeit wird als »FL-Eigeninitiative« verbucht, eine eher abstrakte Form der Einhaltung der Arbeitszeit. In Wirklichkeit sind 50- bis 60-Stunden-Wochen die Regel. Ein Knochenjob.
    Und dann gibt es da noch die Schikanen, von denen ein ehemaliger Filialleiter folgendes berichtet. Bei Ankunft des Bezirksleiters, der gekommen war, um einen »Besuchsbericht« abzufassen, sei sein Laden blitzsauber gewesen. Dummerweise mußte, bei einsetzendem Nieselregen, soeben angelieferte Ware in die Filiale geräumt werden. Die feuchten Gummirollen des Hubwagens verursachten auf dem Fliesenboden schwarze Streifen – was der Bezirksleiter prompt in seinem »Besuchsbericht« vermerkte. Berechtigt sei der Bezirksleiter zu dieser Feststellung gewesen, weil sein Bericht eine »Momentaufnahme« des Ladens wiedergebe – die feine englische Art sei es aber nicht gewesen. Doch die ist ohnehin nicht angesagt. Wer aufbegehrt, dem drohen Repressalien bis hin zur Auflösung des Arbeitsvertrags. Nicht vorgesehen im Schöpfungsplan des Imperiums ist Arbeitsausfall wegen Krankheit. Wer glaubt, sich eine Erkrankung leisten zu können, irrt. Dann droht Besuch vom Bezirksleiter, und zwar gerne auch abends oder am Wochenende. Dem Vernehmen nach werden die Angestellten dann beschimpft oder gedemütigt – bis sie einsehen, daß sie an ihrer Krankheit selbst schuld haben. Krankmeldungen werden vor den Augen der Mitarbeiter zerrissen, die Fehlzeiten von den Überstunden abgezogen. Wer der Gefahr entgehen will, einen Auflösungsvertrag vorgelegt zu bekommen, geht krank zur Arbeit. Es wurden schon Kassiererinnen mit Gipsbein gesichtet. Nur im Notfall werden nämlich Aushilfen eingesetzt. Wer sich krank meldet, belastet automatisch die Kollegen mit Mehrarbeit. Wenn Ersatz durch Aushilfen angefordert werden muß, weil sonst der Betrieb zusammenbräche, geht das auf Kosten der Abwesenden: Die Prämie wird gekürzt. Das schafft keine Freunde.
    Ein weiteres Schmankerl aus der Palette »neuzeitliche Mitarbeiterführung« sind die Testkäufer, die dazu da sind, das Kassenpersonal in erster und den Filialleiter in zweiter Linie auf die Probe zu stellen. Beliebt ist beispielsweise der Trick, eine flache Schachtel – Pralinen, Bettwäsche oder ähnliches – an der Unterseite einer Palette mit Dosen hochzuheben, wie um zu beweisen, daß sich nichts mehr auf dem Wagenboden befindet. Oder die Testkäufer stecken eine Flasche Korn in ein Gebinde mit Mineralwasser. Wer als

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