Die Aldi-Welt
sieht sich allezeit mit einem Ersatzkandidaten konfrontiert, es sei denn, er ist so hochspezialisiert, daß ein Nachfolger nicht auf Zuruf auftreibbar wäre.
Für den gemeinen Arbeitnehmer, der sein Brot – sagen wir beispielsweise: – bei Aldi verdient, ist die Chance gering, als unersetzlich zu gelten. Also verhält sich dieser Jona sicherheitshalber ruhig; zumal er weiß, daß die Oberen nichts so sehr schätzen wie Diskretion. Das ist freilich nichts Aldi-Spezifisches, findet dort aber eine ausgesprochen hohe Wertschätzung. Wer opponiert, ist schon auf der Abschußliste, wer plaudert dito. Verschwiegenheit ist keine Zier, sie ist oberste Bürgerpflicht. Es gibt bis heute keinen wirklich aktenkundig gewordenen Überläufer, keinen, der sich anders als schweigend aus dem Bauch des Wals verabschiedet hätte.
Das Habsburger Modell der Personalführung
»Der Staat ist eine Pyramide: Wer ganz nach oben will, braucht einen kleinen spitzen Kopf«, befand der Schriftsteller Uwe Dick. Was bei »Vater« Staat noch gelten mag, in der Großindustrie hat der Umbau der starren Hierarchien längst begonnen. Dezentral und teamorientiert muß gearbeitet werden, das ist effektiver und fördert Kreativität und Motivation der Mitarbeiter. Dabei geht doch nichts über eine zünftige Hierarchie. Wenn Vorstände von Großunternehmen im kleinen Kreis klagen, nur genormte Karrieristen mit vorbildlichem Lebenslauf würden es in die höheren Ebenen schaffen, vergessen sie allzu gern, daß gerade in höheren Etagen willige Vollstrecker hoch willkommen sind. Konzernlenkern vom Schlage der Albrecht-Brüder stünden de jure ganze Stabsabteilungen im repräsentativen Büroturm zu, regelmäßige Interviews in den führenden Blättern, dreiteilige Schlafanzüge mit Seidenkrawatte und ein sprichwörtlicher Fahrer, der die Felgen des 600er Benz mit der Zahnbürste pflegt. Klischee? Dann werfe man mal einen Blick auf die Sonnenkönigattitüde von Automobilpäpsten wie Jürgen E. (E wie Elch?) Schrempp oder Ferdinand Piech. Schrempp (Motto: »Profit, Profit, Profit«) läßt, kaum zum Vorstandsvorsitzenden avanciert, von einem Journalisten seine Biographie schreiben (warum nicht gar die Tagebücher edieren?), gibt sich kämpferisch globalisierend, wenn er eben mal ein Traditionsunternehmen wie Fokker erst kauft und kurz darauf mit Handkantenschlag in den Orkus rammt; sorgt für Schlagzeilen, wenn er in bester Teutonenmanier nachts auf der Spanischen Treppe in Rom randaliert. Seine eckige Fred-vom-Jupiter-Brille spricht dann: Seht, ich komme von der Werkbank und habe es bis ganz nach oben geschafft. Dabei übersieht der Machiavellist in ihm permanent, daß er nur ein angestellter Manager ist. Ein Aktionärsknecht, der den flotten Otto geben darf, der bei angemessener Abfindung aber durchaus künd- und ersetzbar ist. Da können doch die wahren Herren des Geldes nur pikiert die Augenbrauen lüften. »Aldi – c’est moi.« Bei Aldi herrscht ein anderes Herrschaftsmodell. Das Sonnenkönigtum wird nicht nach außen getragen. Es existiert nur im Inneren des Wals. Von dort aber, Jona hin oder her, sind Klagerufe tabu.
Insider sprechen von einem »Habsburger Modell der Personalführung«: Jede Ebene erhält nur die Menge an Information, die sie unbedingt benötigt. Der persönliche Auftritt sei aber, auch das wird kolportiert, eher unauffällig, beinahe bescheiden. Der Herr Aldi, ein Normalo wie du und ich. Selbstverständlich verlangt ein so enger Zuschnitt auf jeweils einen Obersten ein treues Regiment von Vasallen. Die gibt es, aber sie sind so graumäusig unauffällig wie ihre Geldgeber. Ganz oben thront, in Süd wie in Nord, der Gottvater. Dann kommt erst einmal lange nichts, und dann folgen die Hierarchien.
Am Beispiel Aldi Nord wollen wir diese Pyramide von unten betreten. Dazu muß vorausgeschickt werden, daß die im folgenden verwendeten Kürzel ausschließlich im Konzern verwendet werden. Was der Bundeswehr der BWAküFi (der Bundeswehr-Abkürzungs-Fimmel) ist, hat bei Aldi einen kleinen Bruder bekommen. Es beginnt mit einem V wie Verkäufer (vulgo Kassenfrau), setzt sich fort beim VFL, dem Vertreter des Filialleiters, der demnach als FL adressiert wird. Dem FL übergeordnet ist der BL, der Bezirksleiter, dem in der Regel sechs bis acht Filialen unterstehen. Dann verzweigt sich das Organigramm in die Linie OA für Objektanmietung. Dahinter verbirgt sich der Zweig der Cilly-Albrecht-Immobilien KG, einer Tochtergesellschaft für
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