Die Aldi-Welt
Schmerzgrenze gegangen. Da bleibt der Konkurrenz dann nur, soweit als möglich mitzuziehen. Das freut freilich besonders die Lieferanten, die durch solche Preissenkungen oft an den Rande des Ruins gebracht werden. Ruchbar geworden sind solche Methoden beispielsweise bei dem rücksichtslos vorgehenden Drogerieriesen Schlecker. Der Spiegel zitierte 1996 aus einem Schreiben, das Firmeninhaber Anton Schlecker anläßlich der Eröffnung seiner 6000. Filiale an seine Lieferanten schickte. Darin hieß es, Schlecker plane eine »außergewöhnliche Werbekampagne«: Deswegen sei das Unternehmen auf Zuschüsse seitens der Lieferanten angewiesen.
»Wir gehen davon aus, daß Sie sich an dieser Maßnahme wie folgt beteiligen…«, schrieb Preiskiller Schlecker, gab seinen Geschäftspartnern eine Summe vor, behielt aber für sich, wofür er das Geld tatsächlich ausgeben würde. Schlecker ist mit seiner geballten Macht von 40 Prozent Marktanteil und 5,5 Milliarden Mark Umsatz keiner, mit dem man es sich leichthin verderben würde – der Baby-Nahrungshersteller Hipp hat die Sache mal ausgereizt: Er weigerte sich, zu Dumpingpreisen zu liefern, flog bei Schlecker aus dem Regal – und kehrte nach angemessener Befriedungsfrist wieder dorthin zurück.
Die Handelsriesen geben den Druck, der ihnen durch den Verdrängungswettbewerb – den sie wiederum selbst losgetreten haben – an ihre zumeist mittelständischen Zulieferer weiter: Ein durchschnittliches Unternehmen in der Nahrungsmittelindustrie beschäftigt 100 Mitarbeiter und setzt 40 Millionen Mark um. Mengenrabatte, die meist einmal im Jahr bei den »Jahresgesprächen« ausgehandelt werden, sind das eine; das andere sind die neuerdings eingeführten Zuschüsse und Sonderforderungen, welche die Handelsriesen – ohne erkennbare Gegenleistung – von ihren Lieferanten einfordern. Die Erpressungsversuche würden immer dreister, entweder (wie im Falle Schlecker) durch die Einforderung einer konkreten Summe, durch Spenden zu Firmenfusionen (»Hochzeitsrabatt«) oder durch Abrundung der Rechnung von Seiten des Belieferten. So hat Marktführer Rewe im Jahr 1996 seinen Lieferanten angekündigt, sämtliche Rechnungen würden um ein Prozent gekürzt, »sofern wir nichts Gegenteiliges von Ihnen hören«. Rewe hat jedoch Gegenteiliges zu hören bekommen, weil einige Zulieferer sich mit diesem vertraglich nicht gedeckten Sonderrabatt nicht abfinden mochten. Rewe lenkte vorübergehend ein, kündigte aber an, die Maßnahme sei »nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben«.
Teil dieses mörderischen Spiels ist auch die Ausleuchtung der gegnerischen Finanzen. So sollen Zulieferer schon Formulare von Tengelmann erhalten haben, mit denen sie aufgefordert wurden, Auskunft über den Umsatzanteil zu machen, der auf das Geschäft mit Tengelmann entfiele. Wer sich auf solche Selbstauskünfte einläßt, ist schon verraten. Wer sich ihnen verweigert, kurz davor. Viele Mittelständler hängen aber mittlerweile dermaßen monokulturell am Tropf der Großen, daß sie es vorziehen, zu zahlen und zu schweigen – eine allzu laute Beschwerde oder gar ein Feldzug vor das Bundeskartellamt wird da gern unterlassen. Das Resultat dieses Preiskampfs: 330 Betriebe machten in den letzten fünf Jahren dicht, 50000 Arbeitsplätze gingen verloren.
Es gibt freilich auch Gegenstimmen, die darauf pochen, bei Aldi herrsche »Lieferanten-Treue«. Das Branchenblatt Lebensmittel Praxis zitiert in einer Titelstory aus dem Jahr 1991 einen Insider mit dem Satz: »Aldi knebelt keine Lieferanten. Nur viele begehen den Fehler, sich in eine zu große Abhängigkeit zu bringen.« Begründet wird dies damit, daß Aldi, wenn immer möglich, bevorzugt mit mittelständischen Firmen arbeite – was sich wiederum aus der Tradition des eigenen Hauses herleite. In den Anfangsjahren haben mehrere Konzerne dem aufstrebenden Discounter die kalte Schulter gezeigt. Wer sich damals kooperativ zeigte, wurde offenbar mit Treue bis zu dem Punkt bedacht, an dem dann doch die Preisschraube angezogen wurde. Oberstes Kriterium ist einwandfreie Qualität: Wenn diese sich auf gleicher Höhe wie das Produkt des Marktführers befindet, übernimmt Aldi die Führung in Sachen Preis. Getestet werden neue Produkte zunächst in bestimmten Regionen, um Klarheit über die Absatzchancen zu gewinnen. Der Lieferant muß ein fertiges, marktreifes Produkt, inklusive Konzept für die Handelsmarke, Warenzeichen und Transportverpackung vorweisen – das einzige Produkt, das
Weitere Kostenlose Bücher